Mission impossible für Conte?

Giuseppe Conte, der zurückgetretene Regierungschef der Koalition von Lega und 5Sternen, wurde heute von Staatspräsident Mattarella – nach einer zweiten Konsultationsrunde mit allen Parteien – mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, die diesmal aus 5SB und PD bestehen soll. Conte hat ein paar Tage Zeit, um mit den beiden Parteien, die gestern dem Staatspräsidenten ihre Bündnisbereitschaft erklärten, ihm die Grundzüge eines politischen Programms und das Personaltableau der künftigen Regierung vorzulegen.

Ein denkbar schwieriges Unterfangen angesichts der immer noch bestehenden inhaltlichen Differenzen und auch persönlichen Spannungen zwischen PD und 5Sternen. Noch am Vortag der gestrigen Konsultation hatte es ein ständiges Hin und Her zwischen Signalen der Annäherung und des Bruchs gegeben. Das Ergebnis ist letztlich immer noch offen, auch nach dem Auftrag für Conte.

Tauziehen um Ämter und Personen

Obwohl beide Seiten in der „Anbahnungsphase“ ständig beteuerten, es gehe zu aller erst um inhaltliche Fragen, betraf das Tauziehen vor allem personelle Entscheidungen, die natürlich auch politischen Charakter haben. Die erste betraf Conte selbst. Die 5Sterne hatten zur Bedingung gemacht, dass er wieder Ministerpräsident werden müsse. Für die PD eine schwer zu schluckende Kröte, denn obwohl Conte im Senat eine Sternstunde hatte, als er mit Salvini abrechnete, hat er als Regierungschef alle Entscheidungen und Handlungen der Koalition von Lega und 5SB mitverantwortet, auch die schändlichsten, wie Salvinis inhumane und verfassungswidrige „Sicherheitsgesetze“ und die Schließung der Häfen für aus Seenot gerettete Flüchtlinge. Gerade darüber hatte Conte in seiner Senatsrede kein Wort gesagt.

Als die Verhandlungen an der Personalfrage Conte zu scheitern drohten, stellte die PD ihre Vorbehalte zurück. Denn die Alternative wären Neuwahlen gewesen, mit einem beinah sicheren Sieg der Rechten unter der Führung Salvinis. Danach allerdings pokerten die 5Sterne (allen voran Di Maio) weiter. Es müsse, wie bei der Koalition mit der Lega, zwei Vizepremiers geben, einer davon müsse Di Maio sein. Die PD lehnt dies mit der nachvollziehbaren Begründung ab, dass die 5SB bereits den Ministerpräsidenten stelle. Conte sei nicht „super partes“, sondern mittlerweile ein prominenter Vertreter der 5SB (im Fall von Neuwahlen wäre er ihr Spitzenkandidat gewesen). Die Rolle des – einzigen – Vizepremiers stehe daher der PD zu.

Das Beharren Di Maios auf dem Posten des Vizepremiers ist nicht allein seinem persönlichen Ehrgeiz geschuldet: Er steht bekanntlich der Lega näher als der PD und weiß, dass er bei einer veränderten Regierungskonstellation auch innerhalb der 5SB an Einfluss verlieren würde. Dem versucht er mit seiner Forderung entgegen zu treten.

Dass er sich damit durchsetzen wird oder daran gar die Koalition platzen lässt, ist unwahrscheinlich. Denn die entscheidende Rolle bei den Verhandlungen wird jetzt, nach seiner Beauftragung durch den Staatspräsidenten, Conte spielen. Und der wird eine Lösung suchen, die den Konflikt entschärft, ohne Di Maio direkt zu blamieren. Der Kompromiss könnte darin bestehen, dass dem Ministerpräsidenten gar kein Vize zur Seite gestellt wird (was übrigens in Italiens Regierungen bisher der Normalfall war). Dann würde sich die Personalfrage darauf konzentrieren, dass Di Maio mit einem Ministerium von Gewicht „entschädigt“ werden müsste. Das wird allerdings nicht das Innenministerium sein, Salvinis bisheriges Kampfrevier. Dort will die PD jemanden haben, der für Diskontinuität steht. Ein Kriterium, das Di Maio sicherlich nicht erfüllt.

Schlüsselfrage „Diskontinuität“

Auch jenseits der Personalfragen bleiben die politischen Hürden hoch. Das wird auch an den Erklärungen deutlich, die Zingaretti und Di Maio im Anschluss an die Konsultationen abgaben. Zingaretti betonte, dass es nicht um einen „Conte 2“ bzw. „Stabwechsel im Staffellauf“ gehe, sondern um die Bildung einer „Regierung der Wende und Diskontinuität“, in deren Mittelpunkt soziale und fiskale Gerechtigkeit, ein „neues grünes Entwicklungsmodell“, Investitionen und nicht zuletzt die Beendigung „einer Zeit des Hasses, der Ressentiments und der Angst“ stehen. „Es gibt ein Italien, das Tag für Tag arbeitet, studiert, produziert und dabei Großartiges leistet. Diesem schönen Italien wollen wir eine Stimme geben. Ein Italien, das auf Angst mit Hoffnung und auf Hass mit Toleranz und Zusammenschluss antwortet“. Dieser Herausforderung werde sich die PD „mit Mut“ stellen.

Ganz anders erklärte sich Di Maio. Er lobte ausführlich die Leistungen der vorherigen Regierung: Herabsetzung des Rentenalters, Bürgergeld, Steuersenkungen und – man glaubt es kaum – eine „neue Migrationspolitik“, sprich das Drängen von Migranten und Flüchtlingen in die Illegalität und die rechtswidrige Sperrung der Häfen für Schiffbrüchige. Dieser Weg sei bedauerlicherweise „abrupt beendet worden“, weil die Lega aus parteipolitischen Interessen eine Regierungskrise provoziert habe. Nun müsse „im Interesse des Landes“ eine neue Regierung unter Contes Führung gebildet werden, diesmal mit der PD. Denn die 5SB sei postideologisch. „Es gibt keine rechten oder linken Lösungen, sondern nur Lösungen“. Er setzte hinzu: „Ich verleugne nicht die Arbeit der Vorgängerregierung. Unser Programm ist genau das gleiche, für das sich am 4. März 2018 elf Millionen Italiener entschieden“.

Wie aus diesen geradezu gegensätzlichen Einschätzungen ein „anständiger“ Kompromiss herausgefiltert werden soll, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Interessant ist allerdings, dass Conte nach seiner Beauftragung eine Erklärung abgab, die in mehreren Punkten an Zingarettis Rede anknüpfte. Er werde auf eine Regierung „im Zeichen der Erneuerung“ hinarbeiten, und sprach von einer „neuen Zeit der Reformen und der Hoffnung für ein Italien, das gerechter, solidarischer und inklusiver ist“.

Online-Befragung bei 5SB mit ungewissem Ausgang

Die nächsten Tage werden zeigen, wie stark Contes Autorität innerhalb der 5Sterne ist und welchen Kurs sie fahren werden. Ein erheblicher Unsicherheitsfaktor bleibt die bereits beschlossene Online-Befragung, an der die zertifizierten Mitglieder auf der „Rousseau“-Plattform der Casaleggio Associati teilnehmen dürfen. Denn die Anhängerschaft (und auch die Wählerschaft) der Grillini ist mehrheitlich nicht „postideologisch“, sondern rechtspopulistisch eingestellt und steht Salvini – trotz der Verärgerung über dessen „Verrat“ – näher als der verhassten PD.

Da die die 5SB ihre endgültige Entscheidung vom Ausgang der Befragung abhängig machen will, wird diese voraussichtlich Anfang nächster Woche stattfinden. Conte hat erklärt, er werde noch „in den nächsten Tagen“ den Staatspräsidenten über das Ergebnis der Verhandlungen unterrichten und ihm – bei positivem Ausgang – seinen Vorschlag für die Regierungsmannschaft unterbreiten. Mattarella drückt aufs Tempo, die Zeit für „Brückenbauer“ ist knapp.

Indessen ruft Salvini für den 18. Oktober zu einer Großdemonstration in Rom gegen die „Palastintrige“ auf, die dem Volk das Recht auf Wahlen nehmen wolle. Schon im Anschluss an das Gespräch im Quirinal hatte er eine – im Ton und Inhalt – sehr aggressive Rede gehalten. Die neue Regierung seit Ergebnis eines „lang gehegten“ Plans von „Merkel, Macron und Juncker“, um ihn auszuschalten, Italien seiner Souveränität zu berauben und ihren Interessen zu unterwerfen. Dass er derjenige ist, der den Bruch der eigenen Regierung herbeiführte, hat er offenbar schon vergessen. Das Märchen vom Komplott finsterer internationaler Mächte fällt ihm leichter als das Eingeständnis, dass er sich erst einmal gründlich verzockt hat.

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