Eine (schlechte) Kopie von Hartz IV

Ende Januar ist das Gesetzesdekret zur Einführung des sogenannten „Bürgereinkommens“ (reddito di cittadinanza) in Kraft getreten, das zentrale Wahlversprechen der 5-Sterne-Bewegung, das ihr – besonders in Süditalien – viele Stimmen brachte. Dadurch werde in Italien „die Armut besiegt“, hatte Vizepremier Di Maio (5SB), der pompöse Töne liebt, verkündet. Wäre es so, hätte Deutschland schon 2005 mit der Einführung von „Hartz IV“ die Armut besiegt – was bekanntlich nicht der Fall ist –, denn genau daran orientiert sich das „Bürgereinkommen“.

Jenseits populistischer Sprüche: Es ist Fakt, dass in Italien ein wirksames Unterstützungssystem fehlt, um Menschen in absoluter Armut (laut Angaben des Nationalen Statistikinstituts ISTAT ca. 5 Millionen) eine Existenzsicherung zu garantieren. Die bisher dafür entwickelten Instrumente waren unzureichend, sowohl was die Leistungen als auch was die Anzahl derjenigen betrifft, die von ihnen erreicht wurden.

Die Modelle früherer Regierungen

Die von Berlusconis Finanzminister Tremonti 2008 eingeführte „social card“ sah einen Betrag von nur 40 Euro monatlich für einen Kreis von 1,3 Mio. Bedürftigen vor, gepaart mit der Möglichkeit, mit einer Rabattkarte in ausgewählten Supermärkten Konsumgüter zu reduzierten Preisen zu kaufen (Gesamtvolumen: 450 Mio. Euro).

2013 führte die Regierung Letta den SIA („Sostegno Inclusione Attiva“) ein, der 2016 von Renzi übernommen und ausgeweitet wurde. Familien mit schwangeren Müttern oder minderjährigen bzw. behinderten Kindern bekamen 80 Euro monatlich (pro Familie max. 400 Euro). Die Unterstützung erreichte ca. 800.000 Menschen – und war für diese an die Verpflichtung gebunden, sich an beschäftigungsfördernden und gemeinnützigen Projekten zu beteiligen.

2017 ersetzte der damalige Ministerpräsident Gentiloni den SIA durch den „Reddito di inclusione“ (REI), der die Zahl der Berechtigten auf 1,8 Millionen (ca. 400.000 Familien) erweiterte und die Hilfe auf max. 485 Euro erhöhte (Gesamtvolumen: 2 Milliarden Euro).

Das jetzt eingeführte „Bürgereinkommen“ ist also nicht das absolute Novum, wie von den 5Sternen angepriesen. Es handelt sich auch keineswegs, wie der Name suggeriert, um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern um eine Unterstützung für Personen, die unter der Armutsgrenze leben und sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen. Dafür hat die Regierung für 2019 – zusätzlich zu den 2 Milliarden, die im Haushalt schon für den REI veranschlagt waren – 4,68 Milliarden Euro vorgesehen. Mehr als doppelt soviel, allerdings aus einer Erhöhung des Defizits zu zwei Dritteln auf Pump finanziert (über die damit verbundenen Risiken haben wir berichtet).

„Reddito di cittadinanza“ und Hartz IV im Vergleich

Das höhere Finanzvolumen geht mit einer Ausweitung der Anspruchsberechtigten einher. Die Unterstützung wird Personen gewährt, deren jährliches Familieneinkommen nicht über 9.360 Euro liegt, das sind etwa 3,6 Millionen Menschen (ca. 1,6 Mio. mehr als beim REI). Allerdings werden bei der Berechnung auch Faktoren wie Immobilienbesitz und Sparvermögen (das 6.000 Euro nicht übersteigen darf) herangezogen, so dass die tatsächliche Anzahl kleiner ist.

Auch über die Höhe der Leistung sind die Angaben der Regierung nicht exakt. Vor allem Di Maio erzählt immer wieder, dass jeder Berechtigte eine monatliche Unterstützung von 780 Euro erhalten werde. Das ist aber nur der maximale Betrag für einen Alleinstehenden, der zur Miete wohnt: Der Betrag teilt sich in 500 Euro „Bürgereinkommen“ und 280 Euro Mietzuschuss. Wer in einer Eigentumswohnung lebt – und das gilt in Italien für die meisten Familien, auch wenn sie arm sind – bekommt max. 500 Euro. Also 15 Euro mehr als bei Gentilonis REI.

Besonders problematisch ist die Bestimmung, dass Ausländer aus Nicht-EU-Staaten die Leistung nur dann in Anspruch nehmen können, wenn sie bereits 10 Jahre in Italien wohnen, davon die letzten zwei Jahre ohne Unterbrechung. Ungefähr ein Drittel der Menschen in absoluter Armut sind in Italien Zuwanderer. Viele von ihnen werden durch diese willkürliche und diskriminierende 10-Jahre-Residenzbedingung von der Unterstützung ausgeschlossen, obwohl sie durch ihre soziale Lage eigentlich die Voraussetzung erfüllen. Eine schärfere (und nach Meinung vieler Juristen auch verfassungswidrige) Ausgrenzung als bei Hartz IV, wo für den Anspruch der Nachweis des „gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland“ reicht (womit im Wesentlichen nur Touristen und Saisonarbeiter von der Leistung ausgeschlossen werden).

Ähnlich wie bei Hartz IV ist Bedingung, dass man Beschäftigungsangebote annimmt, wobei alle Arbeiten grundsätzlich als zumutbar gelten. Unterschiede gibt es bei den Ausnahmeregelungen: Bei Hartz IV sind es – neben besonderen Gründen im Einzelfall – die mögliche Gefährdung der Erziehung der Kinder sowie eine Entfernung des Arbeitsplatzes bis (im Regelfall) 180 km. Beim „reddito di cittadinanza“ sind die Kriterien schärfer: Während der ersten 12 Monate darf beim ersten Arbeitsangebot die Entfernung bis zu 100 km betragen, während die Grenze beim zweiten Angebot bei 250 km liegt. Und beim dritten Angebot – das nicht mehr abgelehnt werden darf, ansonsten entfällt die Leistung – gilt jeder Ort Italiens als zumutbare Entfernung. Ausnahmen gibt es nur für Personen mit behinderten Familienangehörigen.

Die Leistung entfällt auch, wenn man nicht an Fortbildungskursen oder den vorgeschriebenen acht Wochenstunden gemeinnütziger Arbeiten (ohne Entgelt) teilnimmt. Falsche Angaben über die eigene Anspruchsberechtigung werden mit 2 bis 6 Jahren Haft bestraft, andere Pflichtverletzungen (z. B. Terminversäumnisse, wie bei Hartz IV) werden mit Leistungskürzungen und im Wiederholungsfall mit Streichung sanktioniert.

Zu wenig Jobagenturen, zu wenig Stellen

Das „Bürgereinkommen“ wird 18 Monate lang gezahlt und kann einmal erneuert werden. Im Unterschied zu Hartz IV, das bei Fortbestehen der Voraussetzungen grundsätzlich verlängerbar ist. Auch die Auszahlungsmodalität ist in der italienischen Variante restriktiver: Der monatliche Betrag darf nur bis zu 100 Euro bar ausgezahlt werden, der Rest ist durch eine Karte abrufbar, die man beim Einkauf verwendet. Außerdem ist der Betrag nicht auf den nächsten Monat übertragbar: Wird er nicht ausgeschöpft, verfällt er. Bei Hartz IV wird das Geld auf das Bankkonto des Leistungsempfängers überwiesen; hat er kein Konto, kann die Auszahlung (bis zu 1.000 Euro) entweder direkt am Kassenautomat im JC (mit einer entsprechender Kassenkarte) oder per Barscheck erfolgen.

Ein großes Problem bei der Umsetzung besteht darin, dass die „Centri per l‘ impiego“ (Jobcenter), die für die die Beratung und Arbeitsvermittlung von ca. 3,5 Millionen Berechtigten zuständig sind, in Italien weder flächendeckend vorhanden noch personell und fachlich hinreichend ausgestattet sind. Die Anzahl der Mitarbeiter liegt derzeit bei ca. 8.000 (in Deutschland zum Vergleich: ca. 150.000). Die meisten davon in Norditalien, die wenigsten im Süden, wo der Bedarf am akutesten ist. Auch die geplante Aufstockung um 4.000 und die (wahrscheinlich befristete) Einstellung von 6.000 sogenannten „Navigatoren“ (eine Art persönliche Tutoren) werden nicht ausreichen, um eine halbwegs effiziente Betreuung durch die Jobcenter zu gewährleisten.

Und was die jetzige Regierung hartnäckig ignoriert: auch wenn das Jobcenter-Netz flächendeckend ausgebaut und die Mitarbeiter gut qualifiziert wären, könnten sie nicht Stellen vermitteln, die es nicht gibt. Das gilt besonders für junge Arbeitssuchende. Im Dezember 2018 lag die Jugendarbeitslosigkeit in Italien bei 31,9% (in Deutschland bei 6%). Das ganze Gerede, vor allem von Di Maio, die Haushaltsbeschlüsse und insbesondere das „Bürgereinkommen“ würden Italien einen sagenhaften Aufschwung mit entsprechendem Beschäftigungswachstum bescheren, ist Unfug. Was fehlt, sind gerade Maßnahmen zur Förderung von Forschung, Innovationen, Investitionen und Bildung. Fehlanzeige.

Vor ein paar Tagen teilte das Statistikinstitut mit, Italien sei in die Phase „technischer Rezession“ eingetreten – eine Vorstufe zur realen Rezession. Doch Ministerpräsident Conte frohlockt: „Keine Sorge! 2019 sarà un anno bellissimo!“.

Fragt sich für wen.

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