Ein düsterer „Regierungsvertrag“

Nach langem Hin und Her zwischen erster Einigung, Scheitern und wiedergefundenem Konsens und immer wieder verlängerten Fristen haben Lega und 5-Sternebewegung am vergangenen Wochenende ihr Regierungsprogramm präsentiert. Di Maio, der Leader der 5SB, nennt es gerne irreführend einen „Regierungsvertrag nach deutschem Modell“ und hofft wohl, ihm auf diese Weise eine Aura von Autorität und politischer Professionalität zu verleihen. Er neigt sowieso zu pompösen Floskeln. Die Arbeit der Verhandlungskommission kommentierte er mit den Worten: „Wir schreiben Geschichte“.

„Die Geschichte“, die Lega und 5SB schreiben bzw. geschrieben haben, verspricht nichts Gutes. Nicht für Italien, nicht für Europa, nicht für die Demokratie, am wenigsten für die Menschenrechte. Zusammenfassend sind es drei Aspekte, die das Regierungsprogramm charakterisieren: 1. dessen rechtspopulistische Prägung; 2. dessen fehlende finanzielle Deckung 3. die Abgrenzung gegenüber Europa bei gleichzeitiger Öffnung gegenüber Putin.

Der rechte Kern des Programms

Am deutlichsten zeigt sich das rechte Gesicht der Koalition beim Thema Zuwanderung und Flüchtlinge. Die „etwa 500.000 illegal in unserem Land lebenden Migranten“ seien in ihre Heimatländer „zurückzuführen“. In der „Zwischenzeit“ sollen sie in riesigen Abschiebezentren – eines pro Region – zusammengepfercht werden. Der Gipfel des Zynismus: „Wir werden dafür sorgen, dass die etwa 5 Milliarden, die die Linke für Integration vorgesehen hat, ganz oder zumindest um die Hälfte zur Finanzierung von Rückführungen und Abschiebungen genutzt werden“, so der künftige Innenminister Salvini.

Die Arbeit der NGO’s-Rettungsschiffe und deren Möglichkeit, italienische Häfen anzusteuern, sollen noch weiter eingeschränkt werden, mit den Herkunfts- und Transitländern sollen Rückführungsabkommen geschlossen werden. „Unter Beachtung des Schutzes von Menschenrechten“, so die Pflichtfloskel. Die im Vertrag geforderte „Überwindung des Dublin-Abkommens“ ist grundsätzlich richtig, aber erfordert bekanntlich einen einstimmigen Beschluss aller EU-Mitgliedstaaten, der zurzeit nicht in Sicht ist.

Der rabiate Abschottungs- und Abschiebeplan wird praktisch kaum umzusetzen sein, aber enthält für die Bevölkerung die Botschaft, dass alle in Italien lebenden Zuwanderer „Illegale“ sind, also eine Bedrohung darstellen. Ihre Integration ist unerwünscht und schädlich. Die im Programm enthaltenen kostenlosen Kitas sind ausdrücklich „nur für italienische Familien“ vorgesehen. Auch Zuwanderer, die seit vielen Jahren legal in Italien leben und arbeiten, sind davon ausgeschlossen. Eine fremdenfeindliche Diskriminierung, die gegen alle europäischen und internationalen Bestimmungen zur Antidiskriminierung verstößt.

Die Einführung einer „Flat tax“ – ein zentrales Wahlkampfversprechen der Lega – gehört ebenfalls zum Repertoire rechter Parteien, in Italien und anderswo. Sie sieht zwei feste Steuersätze vor: 15% für Einkommen bis 80.000 Euro, 20% für Einkommen, die noch höher sind. Mit einem Steuerabzug von 3.000 Euro für Familien mit niedrigem Einkommen (bis 35.000 Euro). Diese Abkehr von der bisherigen progressiven Besteuerung (fünf Steuersätze von 23% für niedrige bis 43% für hohe Einkommen). schafft im Staatshaushalt ein Loch von etwa 50 Milliarden und bedeutet einen riesigen Transfer zugunsten der Reichen. Beispiel: Eine Familie mit einem Einkommen von 50.000 Euro spart im Jahr 469 Euro, eine mit 110.000 Euro spart etwa 15.900 Euro.

Im Bereich der inneren Sicherheit setzt man auf Strafverschärfungen (Haftstrafen statt alternativer Formen der Strafverbüßung und Resozialisierung). Die (bewaffnete) „Selbstverteidigung“ gegen Raubüberfälle oder Einbrüche wird de facto unbegrenzt legitimiert.

Spendierhosen auf Pump

Was im Wahlkampf für die Lega die „Flat tax“ war, ist für die 5SB das „Bürgergeld“. Vor allem im Süden hat sie mit diesem Versprechen enorm gepunktet. Das durfte im Programm nicht fehlen, zumindest in Ansätzen. Was die 5SB „Bürgergeld“ nennt, ist eigentlich eine Art „Hartz IV“: „Bedürftige“ erhalten 780 Euro Unterstützung, wenn sie den Arbeitsämtern zur Verfügung stehen und die angebotenen Beschäftigungen (in einem Gesamtzeitraum von zwei Jahren) annehmen. Nach zweimaliger Ablehnung entfällt der Anspruch.

Da es in Italien – im Unterschied zu Deutschland – kein flächendeckendes Netz von Arbeitsämtern gibt (und die vorhandenen unterbesetzt oder ineffizient sind) müssen sie geschaffen bzw. ausgebaut werden. Und zwar 2019, also innerhalb eines Jahres (was kein Mensch glaubt). Das „Bürgergeld“ könnte dann – frühestens – 2020 kommen. Kostenpunkt: zwischen 17 und 25 Milliarden.

Und da in den Spendierhosen offenbar noch Platz ist, sieht der Vertrag eine Änderung des Rentengesetzes („Legge Fornero“) vor, die einen früheren Rentenbeginn nach der „Formel 100“ , d. h. Alter + Beitragsjahre = 100 (z. B. 60 Altersjahre + 40 Beitragsjahre) oder alternativ nach 41-jähriger Beitragszahlung ermöglicht. Dafür wären etwa 16 Milliarden erforderlich.

Wenn man die verschiedenen geplanten Mehrausgaben und Einnahmenverluste (v. a. durch die „Flat tax“) zusammenrechnet, kommt man nach Schätzung der Wirtschaftsexperten auf ein „Loch“ von 150 – 170 Milliarden. Die Angaben darüber, woher die kommen sollen, sind vage bis abenteuerlich. Da ist von „Reduzierung bzw. Kürzung unnötiger Ausgaben“ die Rede, von einem „geeigneten Umgang mit den Staatsschulden und einem begrenzten Rückgriff auf das Defizit“. An die verhasste EU-Kommission wird appelliert, „öffentliche Investitionen, die dem Wachstum dienen, aus dem Defizit herauszurechnen“. Geldsegen versprechen sich die Koalitionäre auch aus einem „Steuerfrieden“, was nichts anderes bedeutet als eine erneute Amnestie für Steuerhinterzieher, wenn sie innerhalb einer bestimmten Frist ihre Steuerschulden tilgen. Um den Steuerbetrug dann fröhlich bis zum nächsten Straferlass fortzusetzen. Was alles schon von früheren Regierungen (u. a. des obersten Steuerbetrügers Berlusconi) her bekannt ist.

Antieuropäischer Kurs

In einem früheren Vertragsentwurf fand sich noch die Forderung nach einer „radikalen Änderung der europäischen Verträge“ einschließlich der Möglichkeit, „technische und juristische Verfahren einzuführen, die es den Mitgliedstaaten erlauben, aus der Währungsunion auszutreten“. Also „Italexit“. Nach aufgeregten Reaktionen aus Politik und Wirtschaft – und nicht zuletzt einem deutlichen Wink von Staatspräsident Mattarella – wurde der Passus „entschärft“. Jetzt ist „nur noch“ von einer „Revision der europäischen Verträge von der Währungspolitik bis zum Stabilitätspakt und dem Fiscal compact“ die Rede. Verschwunden ist auch die unrealistische Forderung, die EZB möge Italien die Schulden aus den 250 Milliarden Staatsanleihen erlassen, die sie als „Schutzdach“ für die italienische Wirtschaft aufgekauft hat. Trotz dieser taktisch bedingten Umformulierungen bleiben die Abgrenzung zu Europa und ein Kurswechsel in Richtung auf mehr „Souveränismus“ wesentliche Bestandteile des Regierungsprogramms.

Die antieuropäische Prägung wird von einer Öffnung zu Putins Russland begleitet. In dem Abschnitt „Außenpolitik“ heißt es: „Die Zugehörigkeit (Italiens) zum westlichen Bündnis, mit den USA als privilegiertem Partner, wird bestätigt, mit einer Öffnung zu Russland, das nicht als Bedrohung, sondern als immer wichtiger werdender Wirtschafts- und Handelspartner zu betrachten ist. In dem Zusammenhang ist es angebracht, die gegen Russland verhängte Sanktionen aufzuheben und es als strategischen Ansprechpartner zur Lösung der Krisen in Syrien, Libyen und Jemen zu rehabilitieren.“. Putin hat die neue Regierungskoalition schon freudig begrüßt.

Nachtrag:
Gestern (Montag) haben die Lega und die 5SB dem Staatspräsidenten mitgeteilt, sie hätten sich geeinigt. Für das Amt des Ministerpräsidenten, über das bis zuletzt gestritten wurde, schlagen sie einen „Dritten“ vor, der an den Koalitionsverhandlungen nicht beteiligt war: den Juristen und Universitätsprofessor Giuseppe Conte, der politisch der 5SB nahe steht. Es wird erwartet, dass Mattarella in Kürze Conte mit der Regierungsbildung beauftragt. Für die in beiden Kammern notwendigen Vertrauensabstimmungen reichen die Stimmen der Lega und der 5SB (im Senat allerdings nur knapp).

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