Kommandoaktion in Como

Am vergangenen Dienstagabend gegen 21.00 Uhr: Die Vertreter der Initiativen, die in der norditalienischen Stadt Como das Netzwerk „Como senza frontiere“ bilden, sitzen wie gewohnt im Versammlungsraum, den einer der Vereine zur Verfügung gestellt hat. Sie beraten über die anstehenden Aktivitäten, welche die Situation der Flüchtlinge verbessern sollen. An diesem Tag geht es u. a. darum, wie man die, die auf der Straße schlafen, mit Trinkwasserkanistern versorgen kann. Como liegt nah der Grenze und dient einigen Flüchtlingen als Durchgangsstation Richtung Norden. Sie haben keine Unterkunft und werden von den Behörden weder materiell noch sozial betreut, sind also auf die Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen.

„Das Tor war angelehnt, wir erwarteten noch einige Sitzungsteilnehmer“, berichtet die Koordinatorin des Netzwerks, Annamaria Francescato. „Ich hörte im Treppenhaus Geräusche und wollte nachsehen. Vor mir standen ca. 15 Personen, mit Glatzköpfen und Bomberjacken, die sich dann mit martialischem Gehabe in den Raum begaben. Sie stellten sich rund um den Tisch auf, an dem wir saßen. Einer verteilte ein Flugblatt und las es vor“.

„Jetzt dürft ihr die Sitzung fortsetzen!“

Die "Strafaktion

Die „Strafaktion“

Das Einmarsch-Kommando gehört zur Gruppe „Veneto Fronte Skinheads“. Im verlesenen Text ist vom Ersatz des europäischen Volkes durch „Nicht-Völker“ und von „Invasion“ die Rede. „Wir sind hier, um euch – Kinder eines Vaterlandes, das ihr nicht mehr liebt – daran zu erinnern, dass man das eigene Volk lieben muss, statt es zu zerstören“. Dann verkündet der Anführer: „Jetzt dürft ihr eure Sitzung fortsetzen!“, das Kommando zieht ab.

„Es war eine massive Einschüchterung und eine bedrohliche Situation. Wir waren etwa zehn Leute, die meisten davon ältere Frauen, wir hätten es mit ihnen nicht aufnehmen können, also sind wir einfach schweigend sitzengeblieben“ erzählt Francescato. „Aber wir lassen uns in unserer Arbeit nicht aufhalten, wir machen weiter. Und wir werden sie verklagen: wegen unerlaubten Betretens von Privaträumen, Bedrohung und faschistischer Propaganda“. Da einer der Sitzungsteilnehmer mit seinem Handy ein Video von der Aktion drehte und ins Netz stellte, konnte die Polizei bereits 8 der 13 Skinheads identifizieren. Sie kündigte an, Strafanzeige wegen „Gewaltanwendung gegen Privatpersonen“ zu stellen.

Kein Einzelfall

Bei der Aktion in Como handelt es sich um keinen Einzelfall. Nur wenige Wochen zuvor hatte im römischen Vorort Ostia das Mitglied eines mafiosen Familienclans einen Journalisten krankenhausreif geprügelt, weil er gewagt hatte, ihn im Zusammenhang mit der anstehenden Bürgermeisterwahl über die Nähe seines Clans zur neofaschistischen Gruppe CasaPound zu befragen, die in Ostia stark vertreten ist.

Besonders in Norditalien sind solche Gruppen, mit regional unterschiedlichen Namen, sehr aktiv. „Veneto Fronte Skinheads“ ist eine der ältesten. Sie hat ihren Hauptsitz in Vicenza, ist aber zunehmend auch in der Lombardei präsent. Die Neonazis betreiben rassistische Propaganda, bedrohen Helfer und organisieren Bürgerwehre gegen „kriminelle Ausländer“. Und betätigen sich als „Helfer der Armen“ (nur der italienischen, versteht sich), verteilen Lebensmittelpakete und gründen Verbände für „wohltätige Zwecke“. Nach dem Muster der rechtsextremen „Alba Dorata“ in Griechenland, aber auch von islamistischen Gruppen, die über die soziale Betreuung „Personal“ für ihre terroristische Vorhaben rekrutieren.

Die zunehmenden Aktivitäten der Neonazis sind beunruhigend genug. Was aber zu einer wirklichen Gefährdung der Demokratie führen kann, ist die Haltung der „etablierten“ rechten Parteien dazu. Sie verharmlosen oder rechtfertigen die Geschehnisse mit der Behauptung, die Schuld läge bei der Regierung und der PD, die eine „unkontrollierte Zuwanderung“ zulassen. Oder zumindest schweigen sie, um sich einer Verurteilung solcher Aktionen zu entziehen.

Verharmlosung oder Schweigen

Die Reaktionen auf den Vorfall in Como zeigen es. Das sei doch „nur Folklore“, winkte der ehemalige faschistische Schläger und spätere römische Bürgermeister Alemanno (jetzt „Fratelli d‘ Italia) ab. Der Lega-Anführer Salvini meinte, es gehöre sich zwar nicht, „uneingeladen irgendwohin einzutreten“. Aber das Problem seien nicht „die paar Jungs“, sondern die Invasion durch die illegalen Migranten. Und Brunetta, der Fraktionschef von Berlusconis Forza Italia, hatte für die Aktion nur zwei Worte übrig: „No comment“.

Auch Berlusconi gab dazu keinen Kommentar ab, allerdings hatte er ein paar Tage zuvor im Fernsehen seine Ablehnung eines jus soli-Gesetzes damit begründet, dass die meisten der potenziell Berechtigten „unsere westliche Kultur, das Christentum und Israel hassen“. Lassen wir mal beiseite, dass der größte Teil dieser Menschen nicht Muslime (wie hier suggeriert), sondern Christen (Katholiken und Orthodoxe) sind. Politisch bemerkenswert ist, dass jetzt auch Berlusconi, zu dessen Repertoire früher keine explizite Fremdenfeindlichkeit zählte, mit solchen pauschalen Diffamierungen die Ressentiments gegen Zuwanderer anheizt.

5-Sterne: postideologisch konziliant

„No comment“ lautet auch die Devise der 5-Sternebewegung. Sie definiert sich prinzipiell als „postideologisch“, also „jenseits von rechts und links“. Faktisch sind ihre Positionen zum Thema Zuwanderung/Flüchtlinge von denen der rechtsextremen Lega nicht zu unterscheiden. Auch gegenüber dem Faschismus und den heutigen Neonazis haben einige in der Bewegung schon lange eine konziliante Haltung. Angefangen mit Grillo, der 2013 über CasaPound erklärte: „Sie haben vernünftige Vorstellungen – manche mehr, manche weniger. Aber wenn die Jungs (auch für Grillo, wie für Salvini, sind die Neonazis immer nur „Jungs“, „ragazzi“, Anm. MH) von Casa Pound in die 5SB eintreten möchten, sehe ich kein Problem. Sie sind willkommen. Das ist Demokratie. Der Antifaschismus ist nicht mein Ding“. In der Tat.

Auch die ehemalige Fraktionschefin der 5-Sterne-Bewegung, Lombardi, befand 2013 auf Facebook, der Faschismus habe durchaus – „bevor er degenerierte“ – gute Seiten gehabt, zum Beispiel „ein tiefes Staatsverständnis“. Di Battista, einer der bekanntesten Grillini, antwortete jetzt auf die Frage eines Journalisten zu Como: „Es gibt in Italien kein Anwachsen xenophober Kräfte. Und zwar dank der 5SB, die eine gesunde Empörung in einen demokratischen Prozess kanalisiert hat“. Gesunde Empörung? Weiter: „Es ist lächerlich, sich heute mit Faschismus zu beschäftigen, er ist gottlob verschwunden und begraben. Der neue Faschismus ist die Herrschaft des Finanzkapitals“.

Das ist der politische Kontext, der Xenophobie legitimiert und in dem sich neonazistische Aktivitäten entfalten. Wenn jetzt Fremdenfeindlichkeit und faschistische Einschüchterung wieder zum Mainstream werden, tragen die rechten Parteien dazu bei. Nicht nur in Italien, sondern auch in vielen Ländern Europas. Von den USA und Russland ganz zu schweigen.

Die PD hat für den 9. Dezember zu einer Demonstration gegen Faschismus und für Toleranz in Como aufgerufen. Auch andere linke Parteien – hoffentlich alle – werden teilnehmen. In Zeiten, in denen Mittelinks vor allem damit beschäftigt ist, sich zu bekriegen, wäre dies ein kleines Zeichen der Einheit gegen Rassismus und Demokratiefeindlichkeit. Wenn auch nur ein kleines.

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