Der Wiedergänger

Teatro Politeama in Palermo, wenige Tage vor der Regionalwahlen in Sizilien: Berlusconi – der dick geschminkt nach wiederholtem Lifting und mit angeklebtem Toupet immer mehr einem Zombie gleicht – wendet sich an seine Zuschauer: „Irgendjemand zweifelt an der Eignung einiger unserer Kandidaten. Denen sage ich: Wir haben doch eine Demokratie, wenn sie euch nicht gefallen, dann wählt sie halt nicht!“.

Auftritt in Palermo

Auftritt in Palermo

Klingt vernünftig, fast wie eine demokratische Selbstverständlichkeit. Jeder möge selbst beurteilen, welchen Kandidat er für geeignet hält und dann entscheiden, wem er seine Stimme gibt. Nur: in diesem Fall ist das Wort „Eignung“ nicht ganz passend. Denn es geht bei den fraglichen Kandidaten nicht um deren fachliche und politische Kompetenz. Es geht darum, dass sie wegen Korruption, Amtsmissbrauchs oder mafioser Aktivitäten bereits verurteilt oder in Strafverfahren verwickelt sind. Und dadurch – eigentlich – für die Ausübung öffentlicher Ämter nicht in Frage kommen (dürften).

Von wegen „impresentabili“

Es sind die so genannten „impresentabili“ in Forza Italia, die aber nach Ansicht ihres Bosses sehr wohl präsentabel sind. Was nicht verwundert, ist er doch selbst ein rechtskräftig zu vier Jahren Haft verurteilter Straftäter (die er aufgrund seines Alters mit „Sozialdienst“ in einem Pflegeheim abgelten durfte): wegen millionenfachen Steuerbetrugs mit seinem Unternehmen Mediaset. Auch bei anderen Prozessen wurde seine Schuld nachgewiesen. Nur Dank der Verjährung und von ihm selbst geschaffener Gesetze „ad personam“ konnte er sich einer Verurteilung entziehen. So z. B. im Fall der Bestechung eines Abgeordneten (3 Millionen), um durch dessen Seitenwechsel die damalige Prodi-Regierung zu stürzen.

„Wenn sie Euch nicht gefallen, wählt sie halt nicht!“ ruft also selbstbewusst der Vorbestrafte. Und die in den ersten Reihen sitzenden „impresentabili“ lachen, klatschen und schwenken Berlusconi-Fähnchen. Siegesgewiss. Tatsächlich gibt ihnen das Wahlergebnis recht. Die FI hat mir ihren Verbündeten in Sizilien gesiegt. Berlusconis Anteil war entscheidend.

„Una bella cosa“

Obwohl wenige Tage vor der Wahl bekannt wurde, dass die Staatsanwaltschaft von Florenz erneut Ermittlungen gegen ihn und seinen Vertrauten Dell‘ Utri (der wegen Zusammenarbeit mit der Mafia schon eine Gefängnisstrafe verbüßt) eingeleitet hat. Wegen des ungeheuerlichen Verdachts, Berlusconi sei der „geheime Mandant“ einer Reihe mafioser Terroranschläge, die 1993 – kurz vor seinem Eintritt in die Politik – in Rom, Mailand und Florenz verübt wurden. Die Ermittler stützen sich auf Abhörprotokolle von Gesprächen zwischen dem inhaftierten Mafiaboss Graviano mit einem anderen Häftling. „Berlusconi hat mich darum gebeten, deswegen war es dringlich … Er wollte schon damals antreten, aber da waren noch die Alten dran und er hat zu mir gesagt ‚Da bräuchte man eine schöne Sache‘ „. Mit „schöner Sache“ („una bella cosa“) waren nach Ansicht der Ermittler Terroranschläge gemeint.

„Lächerlich“, lautete Berlusconis Kommentar. Ergänzt vom üblichen Mantra, eine „politisierte“ Justiz wolle ihn wieder kurz vor einer Wahl beschädigen. Seine Anwälte behaupten, der Mafioso habe gar nicht „Berlusconi“, sondern „Bravissimo“ gesagt (was schon sprachlich keinen Sinn macht). Jedenfalls hat ihm diese Anschuldigung, so schwerwiegend sie ist, in Sizilien nicht geschadet.

Déjà vu

Im Gegenteil. Gestärkt durch den Wahlsieg und dank der selbstmörderischen Zersplitterung des Mittelinks-Lagers kann sich Berlusconi auch für die Nationalwahlen im Frühjahr gute Chancen ausrechnen, in Koalition mit der „lepenistischen“ Lega und den Neofaschisten von Fratelli d‘ Italia die 5-Sternebewegung zu schlagen und eine Mehrheit zu erlangen. Wie in einem surrealen déjà vu erzählt er in Interviews und populären Talkshows die gleichen Märchen wie vor 23 Jahren, als er die politische Szene betrat: weg mit den Steuern, „weniger Staat“, Arbeit und Wohlstand für alle. „Ghe pensi mi!“ („Ich sorge dafür!“ in Mailänder Dialekt).

Wofür er in seiner Regierungszeit dann tatsächlich sorgte, war die skrupellose Sicherung seiner eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen. Ansonsten war die Bilanz desaströs: Einbruch der Kaufkraft, steigende Jugendarbeitslosigkeit, massenhafte Ausbreitung von Korruption und Illegalität, mehr (statt weniger) öffentliche Ausgaben mit wachsenden Schulden, mehr (statt weniger) Steuern für Einkommensschwache und eine horrende Steigerung des „Spread“ zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen, dem Indikator für die Vertrauenswürdigkeit der Wirtschaft. 2011, als Italien einen Schritt vor dem Abgrund stand, verkündete er: „Ich sehe gar keine ernsthafte Krise, den Leuten geht es doch gut! Die Restaurants sind voll und die Flieger ausgebucht“. Ein paar Wochen später trat er auf massiven Druck der EU und des Staatspräsidenten zurück. Der „Techniker“ Monti übernahm, um das finale Desaster abzuwenden.

Aber Monti ist verschwunden und vergessen, während Berlusconi sich wieder als Retter des Vaterlands präsentiert. Diesmal nicht „gegen die Kommunisten“, sondern – bitte nicht lachen – „gegen die Populisten“. Er als einziger sei in der Lage, Grillos Bewegung aufzuhalten. Sagt derjenige, der den Populismus in großem Stil mit erfunden hat. Als Vorbild für Putin, Orban und Trump.

Rechte führt in Umfragen

Sein einziger Wermutstropfen ist, dass er nach dem so genannten „Severino-Gesetz“ wegen seiner Haftstrafe im Mediaset-Prozess nicht kandidieren darf. Gegen dieses Verbot hat er beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Einspruch eingelegt und hofft, dort möglichst noch vor den Parlamentswahlen Recht zu bekommen. Das allerdings scheint aussichtslos, denn das Gericht wird heute (22. November) die erste Anhörung zu dem Fall durchführen und voraussichtlich erst mehrere Monate später das Urteil verkünden. Und dass es dann zu Berlusconis Gunsten ausfällt, ist alles andere als gewiss.

Doch auch wenn er selbst nicht als rechter Spitzenkandidat antreten darf, ist er wieder derjenige, der die Karten mischt. Zwar liegt die FI in aktuellen Umfragen „nur“ bei 15,5%. Aber gemeinsam mit der Lega (13,5%) und Fratelli d’Italia (4,8%) läge das rechte Bündnis mit 33,8% weit vor der 5-Sternebewegung (27,9%) und erst recht vor der PD (23,8%). Damit wäre der ehemalige Cavaliere in der Lage, eine große Koalition mit der angeschlagenen PD als „Juniorpartner“ zu versuchen.

Eine Perspektive, die vor einem Jahr noch völlig unrealistisch zu sein schien. Dass sich das radikal geändert hat, liegt vor allem daran, dass das rechte Lager trotz aller Differenzen auch in den einzelnen Parteien – z.B. beim Thema Europa – bereit ist, sich auf ein „taktisches Bündnis“ zu einigen, um an die Macht zu kommen. Während bei Mittelinks das Gegenteil geschieht: eine Abspaltung jagt die andere und die einzelnen Parteien, Gruppen und Fraktionen überbieten sich mit Anschuldigungen, gegenseitigen Vetos und Ultimaten. Und bereiten so den Weg für den Sieg der Rechtspopulisten. Sei es in Gestalt von Berlusconi/Salvini oder von Casaleggio/Di Maio.

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