Cloaca Maxima

„Wenn du die Kuh melken willst, musst du sie füttern“, klärte der inzwischen verhaftete Salvatore Buzzi, einer der Hauptakteure im römischen Korruptionsskandal, in einem abgehörten Telefonat einen Kumpan auf. „Die Kuh“, das ist der gefräßige römische Apparat in Politik und Verwaltung, der sich jahrelang von der organisierten Kriminalität „füttern“ ließ, um ihr im Gegenzug massenhaft lukrative Geschäfte zu ermöglichen. Im Bau- und Gesundheitswesen, bei der Müllabfuhr, bei der Unterbringung von Flüchtlingen.

Schon im Dezember 2014 (wir berichteten) hatte es eine erste Verhaftungswelle gegeben, bei der neben Buzzi (PD) u. a. auch Massimo Carminati, ein Mafiaboss mit Verbindungen zur neofaschistischen Szene, im Gefängnis landete.

Romanzo Criminale, Teil II

Roms "cloaca maxima"

Roms „cloaca maxima“

Jetzt hat die Staatsanwaltschaft mit einer zweiten „Verhaftungsrunde“ noch deutlicher aufgedeckt, wie parteiübergreifend tief der römische Sumpf war bzw. noch ist. Eine „cloaca maxima“ nennt ihn der Journalist Claudio Tito mit Anspielung auf eine in der römischen Antike bekannte Einrichtung. Gegen 44 Regions- und Gemeinderäte, Verwaltungsbeamte, Bürgermeister benachbarter Gemeinden, Manager von „gemeinnützigen“ Einrichtungen wurde Haftbefehl erlassen. Anklage: Bildung einer kriminellen Vereinigung mafiöser Natur, Manipulation der Vergabe von Aufträgen, Korruption und Bilanzfälschung. Gegen weitere Personen, darunter ein Staatssekretär (der NCD, der Partei von Innenminister Alfano), wird ermittelt. „Die Korruption war nicht die Ausnahme, sondern die Regel“, so das Fazit der Untersuchungsrichterin.

Mit schöner Regelmäßigkeit genehmigte der römische Gemeinderat „außerordentliche Ausgaben“, die nicht durch den Haushalt gedeckt waren, um Buzzi und andere „bevorzugte“ Kooperativen mit üppigen Aufträgen zu bedienen. Im Gegenzug bekamen die Volks- und Verwaltungsvertreter einmalige sowie auch monatliche Zuwendungen. Das „Futter“ eben, von dem Buzzi sprach. Zwischen 20.000 und 50.000 Euro monatlich kassierte z. B. Luca Odevaine (PD), früher Büroleiter des ehemaligen Bürgermeisters Veltroni (PD) und bis zu seiner Verhaftung Mitglied des Runden Tisches zur Verteilung von Flüchtlingen auf die Unterkünfte. „Theoretisch könnte ich mich damit einfach an den Strand legen“ befand er zufrieden in einem abgehörten Telefonat.

Der zweite Teil dieses „Romanzo Criminale“, wie ihn sich dessen Autor Giancarlo de Cataldo nicht hätte besser ausdenken können, zeigt mit erschütternder Klarheit, wie tief in Rom die Korruption von den Parteien sowohl aus dem „rechten“ wie dem „linken“ Spektrum Besitz ergriffen hat. Die PD steckt nicht weniger drin als Forza Italia.

Renzis Mantra

Und wie reagiert die PD-Führung? „Wer gestohlen hat, landet im Gefängnis“, verkündet Parteichef (und Ministerpräsident) Matteo Renzi. Wahrlich eine fulminante Aussage. Es wäre ja noch schöner, wenn nicht. Die Frage muss aber lauten, wie es möglich war, dass es in seiner Partei zu solchen Zuständen kam. Und was zu tun ist, um diesen Sumpf endlich auszutrocknen. „Ein Land ist solide, wenn es die Korruption mit großer Entschiedenheit bekämpft, indem es diejenigen, die stehlen, bestraft“, so sein Mantra. No, caro Matteo. Ein Land ist solide, in dem es nicht normal ist, dass Politiker und öffentliche Funktionäre sich von Kriminellen und Mafiosen kaufen lassen und aus öffentlichen Kassen schamlos bedienen. Dazu und zur Notwendigkeit einer moralischen und kulturellen Offensive – angefangen bei der eigenen Partei – sagt er nichts.

Wer zum Angriff ruft, ist Grillos 5-Sterne-Bewegung. Ihr erstes Angriffsziel ist allerdings – mehr noch als die organisierte Kriminalität und die mit ihr verbandelten Partei- und Verwaltungsfunktionäre von rechts und links – der jetzige Bürgermeister Ignazio Marino. Ein von seiner Partei (PD) schon immer ungeliebter Mann. Kein Mann des Apparats, sondern ein Außenseiter, ein – so sein Spottname – „Marsmensch“. Dass Marino mit den kriminell-mafiösen Geschäften etwas zu tun hat, kann man ausschließen. Er ist derjenige, der die Verfahren zur Vergabe von Aufträgen veränderte und den Justizbehörden viel von dem Material zur Verfügung stellte, das zu den Ermittlungen führte.

Marino: unschuldig und doch verantwortlich

Allerdings viel zu spät. Seine Verantwortung besteht darin, zu lange – sei es aus Unfähigkeit oder Unerfahrenheit – nicht gemerkt zu haben, was in „seiner“ Verwaltung und in „seinem“ Gemeinderat geschah. Das gibt er selbst zu, sieht sich aber vorwiegend als „Opfer“ krimineller Machenschaften, die vor seiner Amtsübernahme eingefädelt wurden. Er hat insofern recht, als gerade während der Amtszeit seines rechten Vorgängers Alemanno die „cloaca maxima“ so richtig zu stinken begann. Aber auch Unerfahrenheit und Unfähigkeit sind für einen Bürgermeister nicht gerade ein Gütesiegel.

Das weiß auch die Opposition, vorne weg die 5-Sterne-Bewegung. Und fordert lautstark Marinos Rücktritt sowie die Auflösung des römischen Gemeinderats wegen mafiöser Infiltrationen. In der Hoffnung, bei Neuwahlen das Amt des Bürgermeisters für sich zu gewinnen.

Noch verkündet die PD, ihren ungeliebten Bürgermeister halten zu wollen. Wer Marinos Rücktritt fordere, betreibe das Geschäft der Mafia, so die offizielle Linie. Aber sie wird nur halbherzig vertreten. Für Renzi und seine Leute gehört Marino nicht „zum eigenen Stall“. Gleichzeitig fürchten sie aber, sein Rücktritt könne den Grillini weiteren Aufwind geben. Also fährt Renzi einen Schlingerkurs: Offiziell stellt er sich hinter Marino, gleichzeitig aber setzt er zur Vorbereitung des „Sonderjubiläums“, das Papst Franziskus ab kommendem Dezember ausgerufen hat, einen „Sonderkommissar“ ein: Roms Präfekt Gabrielli, ein erfahrener und profilierter Beamte, der damit einen Teil von Marinos Kompetenzen übernimmt. Eine indirekte Entmachtung des Bürgermeisters, fast ein Vorgeschmack auf dessen Absetzung.

Als Präfekt ist Gabrielli auch derjenige, der in Kürze dem Innenminister den Bericht über „Mafia capitale“ vorlegen wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Regierung die von den Grillini geforderte Auflösung des Gemeinderats letztlich mittragen wird. Denn eine „Auflösung wegen Mafia“ hätte zur Folge, dass die Gemeinde Rom für zwei Jahre unter kommissarische Leitung gestellt wird. Und Renzi hätte zwei Jahre Zeit, um einen neuen Kandidaten aufzubauen. Mehr Luft als in dem Fall eines „einfachen“ Rücktritts Marinos, der relativ schnell zu Neuwahlen führen würde. Mit der Gefahr (für die PD), dass dann ein Kandidat der 5-Sterne-Bewegung das Rennen macht.

Egal, wie es kommt. Rom ist immerhin die Hauptstadt. Eine Schande für Italien ist es auf jeden Fall.

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