Surrealer Schulkampf

„Nun wollen sie sogar die Schüler umsonst in den Fabriken arbeiten lassen!“. „Wir sollen von Nazi-Schulleitern beurteilt und rausgeschmissen werden!“. Welche abstrusen Szenarien da Lehrer – teilweise auch Schüler und Eltern – zur Schulreform (über deren Kernpunkte wir berichteten) heraufbeschwören, ist schon heftig. Die Gratis-Fabrikarbeit für Minderjährige zielt gegen die Einführung eines Berufsausbildungsmodells, des so genannten dualen Systems, das in Deutschland schon lange besteht und neben theoretischen auch praktische Anteile vorsieht. Die Tyrannei von „Nazi-Schulleitern“ bezieht sich auf die Übertragung erweiterter Befugnisse an die Schulleiter, u. a. die Auswahl (nicht Einstellung) und Beurteilung von Lehrkräften. Auch das ein in Deutschland – in unterschiedlichen Varianten – bereits praktiziertes Modell.

Verhärtete Fronten

Aus einer legitimen Kritik an Renzis Schulreform, die neben positiven auch negative Veränderungen vorsieht, ist ein verbohrter ideologischer Kampf geworden, der mit sachlicher Auseinandersetzung nicht mehr viel zu tun hat. Von Diktatur ist die Rede, von der Einführung einer „Klassenschule“, vom Aushebeln von Verfassungsgrundsätzen. Dem Aufruf der Gewerkschaften zu einer zentralen Protestdemonstration in Rom folgten am 5. Mai etwa 500.000 Lehrer, Schüler und Eltern. Neben der erweiterten „Macht“ für Schulleiter sind die steuerlichen Erleichterungen für Eltern, die ihre Kinder in Privatschulen schicken, und die Einstellung von arbeitslosen oder seit Jahrzehnten prekär arbeitenden Lehrern die umstrittensten Punkte.

Dass in einem Land, in dem die Ressourcen nicht einmal für die flächendeckende Sicherung eines qualifizierten öffentlichen Bildungswesens ausreichen, Steuergeschenke zugunsten von (meist katholischen) Privatschulen verteilt werden, ist in der Tat nicht nachvollziehbar. Weniger verständlich ist der wütende Protest gegen die geplante Einstellung von etwa 100.000 Lehrkräften in diesem und weiteren 60.000 im nächsten Jahr. Auch wenn damit noch nicht alle arbeitslosen und prekär beschäftigten Lehrer übernommen werden: Es ist immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die Lehrerverbände laufen dagegen Sturm und fordern einen fünfjährigen Einstellungsplan mit Übernahmegarantie für alle, die „auf Wartelisten“ stehen. Eine für die Regierung allzu langfristige finanzielle Verpflichtung, die sie angesichts der nach wie vor schwierigen Finanzlage ablehnt.

PD-Linke boykottiert Abstimmung

Der heftige Kampf um die Schulreform setzt die Regierung unter starken Druck. Die von Renzi immer wieder ausgegrenzten parteiinternen Kritiker vom linken PD-Flügel wittern die Chance, es ihrem arroganten Partei- und Regierungschef endlich heimzuzahlen. Dabei übernehmen sie allzu undifferenziert die Kampfparolen der Protestfront und erklären, man könne doch nicht eine Schulreform einfach gegen den Willen von Lehrern, Schülern und Eltern durchsetzen. Ein schwaches Argument, wie ich finde. Denn erstens ist mir weder in Italien noch in Deutschland (über andere Länder weiß ich zu wenig) ein einziges Beispiel bekannt, in dem eine Schulreform – egal von welcher Regierung – nicht von Lehrern, Schülern und Eltern abgelehnt worden sei. Da auf breite Zustimmung zu warten, würde die ewige Konservierung des Bestehenden bedeuten. Und zweitens: Dem Gesetzesentwurf ging eine monatelange Anhörungsphase voraus, bei der über eine Million Bürger – Schulfachleute, Eltern, Schüler und andere – Vorschläge und Anregungen einbringen konnten, von denen einige berücksichtigt wurden.

Am 20. Mai wurde über das Reformpaket in der Abgeordnetenkammer abgestimmt. Dank der dort vorhandenen Mehrheit kam zwar die Reform problemlos durch (316 dafür, 137 dagegen), aber 30 Abgeordnete vom linken PD-Flügel nahmen aus Protest nicht an der Abstimmung teil. Eine Drohbotschaft an die eigene Regierung, die es nun schaffen muss, demnächst auch im Senat, wo sie nur über eine knappe Mehrheit verfügt, ihre „gute Schule“ durchzubringen.

Renzi übt sich als Schulmeister …

"Aufgepasst, liebe Kinder!"

„Aufgepasst, liebe Kinder!“

Derweil versucht Renzi, mit medienwirksamen Auftritten persönlich für sein Reformvorhaben zu werben. So ließ er in einem der Prunksäle des Regierungssitzes eine altmodische Schultafel aufhängen, krempelte die Ärmel seines weißen Hemden hoch und begann, vor laufenden Kameras dem einfachen Volk geduldig die Vorzüge seiner „buona scuola“ – wie ein Lehrer seinen etwas begriffsstutzigen Schülern – zu erläutern und an die Tafel zu schreiben: Nr, 1, 2, 3 ….

Da aber auch er weiß, dass der Schultafel-Gag hartgesottene Reformgegner wenig beeindruckt, versuchte er gleichzeitig, ihnen mit ein paar Zugeständnissen etwas entgegenzukommen. In der Hoffnung, deren Front zu spalten oder zumindest zu schwächen.

… und macht ein paar Zugeständnisse

So sollen die neuen Befugnisse der Schulleiter dadurch eingeschränkt werden, dass die von ihnen getroffenen Entscheidungen über die Auswahl der Lehrer, Vertragsverlängerungen und Fortbildungsprogramme den schulischen Gremien zur Prüfung vorgelegt werden müssen. Ganz abgeschafft wurde die Bestimmung, wonach Bürger mit privaten, steuerlich abzugsfähigen Spenden Schulen ihrer Wahl mitfinanzieren dürfen. Eine Neuerung, die – nach meiner Meinung in diesem Fall zu Recht – heftig kritisiert worden war mit der Begründung, wohlhabende Bürger würden damit „reiche“ Schulen noch reicher machen, während „arme“ Schulen in benachteiligten Gebieten und mit hohem Migrantenanteil leer ausgehen würden.

Am 5. Juni startet – zunächst in den Ausschüssen, dann im Plenum – die Beratung der umstrittenen Schulreform auch im Senat. Da wird sich zeigen, ob es die PD-Linke auf eine neue Kraftprobe mit der von ihr theoretisch mitgetragenen Regierung anlegt. Auch der Ausgang der Wahlen, die in sieben Regionen unmittelbar bevorstehen, wird die Weiterentwicklung beeinflussen. Eigentlich wäre zu wünschen, dass die Debatte um die Schulreform nicht politisch „zweckentfremdet“ (für oder gegen Renzi) und mehr durch sachliche Argumente als durch ideologische Verzerrungen geprägt wird. Denn das Bildungsthema ist zu wichtig, um es für einen „Stellvertreterkrieg“ zu instrumentalisieren. Aber das ist wohl nur ein frommer Wunsch.

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