Renzis „gute Schule“

Mit Schulreformen können sich Regierungen jeglicher Couleur sicher sein, Ärger zu bekommen. In Deutschland wie in Italien.

„La buona scuola“ („die gute Schule“) hat Renzi sein Bildungspaket getauft, das demnächst im Parlament zur Entscheidung ansteht. Vorausgegangen war ein einjähriger „Konsultationsprozess“, bei dem die Öffentlichkeit (Schulfachleute, Eltern, Schüler und interessierte Bürger) aufgefordert war, zum Regierungsvorschlag Stellung zu beziehen und Vorschläge einzubringen. Die Beteiligung fand sowohl online statt (207.000 Teilnehmer) als auch in Diskussionsveranstaltungen und Runden Tischen vor Ort. Einige Vorschläge wie die Stärkung der Schulautonomie fanden Eingang in den Regierungsentwurf, andere – z. B. Integrationsprogramme für Migrantenkinder – wurden nicht aufgegriffen.

Die Eckpunkte

Hier die wichtigsten Eckpunkte der Reform:

1) Ansteigen der Lehrergehälter nicht nur nach Alter, sondern auch nach Leistung;
2) stärkere Autonomie der Schulen, Auswahl des Lehrerpersonals durch die Schulleiter auf der Basis regionaler Bewerberlisten;
3) zusätzliche personelle Reserve für Vertretungen;
4) „Kulturbonus“ von jährlich 500 € für Lehrer, die an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen, Verpflichtung zur Lehrerfortbildung;
5) jährlich 400 betriebliche Praxisstunden für Schüler von berufsbildenden Schulen und 200 für Gymnasialschüler;
6) von insgesamt 148.000 prekär beschäftigten Lehrern bzw. Lehrern in Wartestellung werden ca. 100.000 eingestellt;
7) kleinere Klassen;
8) Steuererleichterungen für Spenden an Schulen und für den Besuch von Privatschulen bis zum Sekundarbereich;
9) Ausbau der musischen Fächer, des frühen Erlernens von Fremdsprachen, der Umwelterziehung und Digitalisierung.

„Linke“ Kritiker laufen Sturm

etwas zweideutig ...

etwas zweideutig …

Sicher nicht alles, aber doch vieles an diesem Katalog erscheint vernünftig und sogar überfällig. Dennoch gibt es – insbesondere von „links“ – harsche Kritik an der Schulreform. Teilweise mit Argumenten, die ich nicht nachvollziehen kann. So im Falle der Einstellung der Lehrer durch die Schulleiter: Diese würden damit zu „kleinen Diktatoren“, heißt es, die Lehrer seien dann deren Willkür ausgeliefert und das Einstellungsverfahren intransparent. Als ob das jetzige zentralisierte Auswahlverfahren, bei dem oft „die richtigen Beziehungen“ entscheidender sind als fachliche Kriterien, transparenter wäre! Offenbar vertrauen die „linken“ Kritiker den Oberbürokraten im zentralen Apparat mehr als den Schulpraktikern vor Ort, die wissen, was ihre Schulen brauchen (und bei Fehlentscheidungen besser zur Rechenschaft gezogen werden können als zentrale Behörden). Für jemanden wie mich, der die Entwicklung der „Schulautonomie“ in einem Land wie Niedersachsen erlebt und verfolgt hat, ist das befremdlich.

Auch gegen die Einstellung der bisher prekär beschäftigten Lehrer hagelt es Kritik. Weil – entgegen ursprünglichen Ankündigungen – nicht alle 148.000, sondern „nur“ 100.000 eingestellt werden. Hier kann man sich in der Tat fragen, warum Renzi zuerst den Mund so voll nahm, um dann fast 50.000 Lehrern, die sich Hoffnungen auf eine Einstellung machten, „April April!“ nachzurufen. Auch die Kriterien dafür, wer reinkommt und wer „draußen“ bleibt, sind fragwürdig. Dennoch ist es aus meiner Sicht schon ein Fortschritt, dass zwei Drittel derer, die manchmal schon seit Jahren oder Jahrzehnten prekär beschäftigt wurden oder auf eine Anstellung warten, nun regulär übernommen werden.

Die „gute Schule“ könnte besser sein

Als überfälligen Fortschritt verbuche ich den Ausbau der Praxisanteile im berufsbildenden Bereich, auch wenn dieser noch nicht mit dem dualen System in Deutschland vergleichbar ist. Ich wüsste auch nicht, was man gegen eine Verstärkung der musischen Erziehung, des Sportunterrichts und der Umweltbildung haben könnte. Das sind allerdings „weiche“ Themen, die sich für Pauschalpolemik nicht eignen und von den Kritikern demzufolge kaum beachtet werden.

Es gibt aber auch berechtigte Kritikpunkte. Natürlich sollen Eltern ihre Kinder an Privatschulen schicken dürfen, aber warum sollen sie dafür bis zum Sekundarbereich I Steuererleichterungen bekommen? Wo doch die Mittel nicht einmal für die staatlichen Schulen reichen? Die Antwort ist so schwer nicht: Auch Renzis Regierung muss sich die Gunst der mächtigen katholischen Kirche sichern, die in Italien Trägerin der meisten Privatschulen ist. Gerade in diesem Punkt setzte sich Renzis rechter Koalitionspartner NCD durch – wenn auch nicht ganz, denn weiterführende Privatschulen bleiben von der Steuererleichterung ausgeschlossen.

Aber die aus meiner Sicht wichtigsten Defizite liegen in Bereichen, die im aufgeheizten Streit um die Schulreform keine öffentliche Rolle spielen. So taucht in Renzis „guter Schule“ die verbesserte Integration und Förderung der über 800.000 Schülerinnen und Schüler aus Einwandererfamilien nicht auf. Auch wenn es viele Schulen gibt, die sich dieser Themen engagiert und erfolgreich annehmen: Eine „Bildungsoffensive“ in diesem Bereich – von der Aus- und Forbildung der Lehrer bis hin zur flächendeckenden Einführung von Sprach- und Integrationsprogrammen – steht noch aus. Was auch Italiens wirtschaftlicher Entwicklung schadet, die auf die Talente und Ressourcen dieser Schüler eigentlich nicht verzichten kann.

Zwei weitere Bereiche, in denen Reformanstrengungen nötig wären, glänzen ebenfalls durch Abwesenheit: die materielle und didaktische Verbesserung der frühkindlichen Erziehung und die Leseförderung. Denn so wichtig die Digitalisierung und der Umgang mit den neuen Medien an Schulen ist: Italien ist ein Land, in dem es zwar in jeder Familie reichlich Fernseher, Tablets, Smartphones etc. gibt, aber Bücher und Zeitungen oft gänzlich fehlen. Zwanzig Jahre Berlusconi haben hier die Lage nicht verbessert.

Die Bilanz über Renzis „gute Schule“ fällt also differenziert aus. Ein großer Wurf ist sie nicht. Neben richtigen stehen fragwürdige Veränderungen. Und es bleiben Lücken. Dennoch: die pauschale Verdammung der Bildungsreform, wie sie viele Kritiker äußern, halte ich für abwegig. Und habe den Eindruck, dass ihre Wurzeln mehr ideologischer als sachlicher Natur sind.

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