Nachfolger gesucht

Das war keine Überraschung mehr: Staatspräsident Giorgio Napolitano nutzte seine traditionelle Neujahrsansprache, um offiziell seinen Rücktritt anzukündigen. Er nannte zwar kein genaues Datum, aber es wird erwartet, dass er noch Mitte Januar geht.

Seine letzte Neujahrsansprache

Seine letzte Neujahrsansprache

Neun Jahre lang hat Napolitano das höchste Amt im Staat bekleidet. Von vielen respektiert, von einigen verehrt, von anderen kritisiert oder gar heftig attackiert. Er war zweifellos ein „robuster“ Staatspräsident. Das musste er auch sein, wenn man bedenkt, dass er jahrelang in „institutioneller Kohabitation“ mit Berlusconi agieren musste. Die ihm qua Verfassung zustehenden Kompetenzen hat Napolitano voll ausgenutzt. Manche meinen, er hätte sogar deren Grenzen überschritten. Eine Meinung, die ich – allerdings eine verfassungsrechtlich Unbedarfte – nicht teile.

Nur in einem Fall ist Napolitano auch aus meiner Sicht dieser Grenze nah gekommen, und zwar bei der Ablösung Berlusconis durch Monti im Jahr 2011. Unter dem Druck der internationalen Finanzmärkte und vor allem von EU und EZB hat Napolitano Berlusconi unbestreitbar zum Rücktritt gedrängt. So sehr mir – und vielen anderen – dies im Interesse Italiens gefallen haben mag: ein „normaler“ Vorgang war es sicher nicht. Allerdings war die damalige Situation auch nicht „normal“, da Italien – nicht zuletzt dank der Unfähigkeit und Unverantwortlichkeit Berlusconis – am Rande des Staatsbankrotts stand.

„Fels in der Brandung“

Alles in allem fällt die Bilanz über Napolitanos Amtsführung positiv aus. Er war der „Fels in der Brandung“ in einer für Italien äußerst stürmischen, labilen politischen und wirtschaftlichen Phase. Alle Versuche Berlusconis, ihn zu seinen Gunsten in seine Justizaffären hineinzuziehen, hat er abgewehrt. Dass er stets die Sicherung der Stabilität des Landes an die erste Stelle setzte, mag in politischer Hinsicht zu manchen unbefriedigenden „Kompromissen“ geführt haben, ist aber angesichts der in Italien herrschenden Zustände nachvollziehbar.

Die Sorge um die Stabilität Italiens bewegte ihn auch dazu, sich im April 2013 auf Bitten der Parteien für eine zweite Amtsperiode zur Verfügung zu stellen, nachdem mehrere Versuche, einen Nachfolger zu wählen, gescheitert waren. Schon damals stellte Napolitano allerdings klar, dass er nicht weitere sieben Jahre im Amt bleiben werde. Er wollte die italienische EU-Präsidentschaft und die Einleitung institutioneller Reformen abwarten, um dann für einen Nachfolger Platz zu machen. Obwohl die Reformziele noch längst nicht erreicht, sondern höchstens am Horizont erkennbar sind, hält der greise Präsident jetzt den Zeitpunkt für seinen Abschied gekommen, was vor allem seinen zunehmenden gesundheitlichen Gebrechen geschuldet ist.

Was kommt danach?

Jetzt schon über seine Nachfolge zu spekulieren, hat wenig Sinn. Denn noch gilt jeder Name, der genannt wird, als „verbrannt“. Oder dient dazu, reale Absichten zu verbergen. Das gilt vor allem für den ehemaligen Ministerpräsidenten und EU-Kommissar Romano Prodi, dessen Wahl zum Staatspräsidenten 2013 von 101 „Heckenschützen“ aus der eigenen Partei (viele meinen, vom „Renzi-Flügel“) verhindert wurde. Das Tänzchen, dass derzeit sowohl Renzi als auch Berlusconi um eine mögliche Kandidatur Prodis veranstalten, gleicht eher einem Schleier- als einem Eröffnungstanz.

Dass Berlusconi alles dran setzen wird, bei der Präsidentschaftswahl eine entscheidende Rolle zu spielen, ist klar. Deswegen signalisiert er hier Renzi deutlich Verhandlungsbereitschaft. Aber diesmal muss auch Berlusconi befürchten, dass innerparteiliche Kritiker die Wahlkabine nutzen, um „alte Rechnungen“ zu begleichen. Renzi muss also damit rechnen, dass Querschüsse diesmal nicht nur von den eigenen Truppen (diesmal von Renzi-Gegnern), sondern auch von denen Berlusconis kommen. Und zeigt sich daher bei der Kandidatenfrage nach allen Seiten offen, 5-Sterne-Bewegung inklusive.

Zu möglichen Kandidaten erklärt Renzi lediglich, es müsse jemand sein, der von einer möglichst breiten Mehrheit getragen wird, eine „parteiübergreifend und international anerkannte Person“, „von großer Weitsicht“ etc. bla bla. Und hütet sich, etwas zu den kursierenden Namen zu sagen. Tatsächlich dürfte Renzi an einem Staatspräsidenten interessiert sein, der sich möglichst wenig politisch einmischt, den Ministerpräsidenten – also ihn – schalten und walten lässt und sich darauf beschränkt, das Land würdig zu repräsentieren. Ein Profil, das ganz eindeutig auf Prodi nicht zutrifft. Der Journalist Giuliano Ferrara, einst Berater Berlusconis und inzwischen Renzi-Fan, skizziert als „idealen Kandidaten“ einen Präsidenten nach „deutschem Modell“, das er so beschreibt: Schon von seiner Wahl merke niemand etwas, „und die Namen der Staatspräsidenten, auch wenn sie hervorragende Qualitäten hatten, bleiben kaum im Gedächtnis … Der Präsident präsidiert, der Kanzler hat die Macht. Schluss aus“.

Einen Grußonkel braucht Italien nicht

Lassen wir mal das etwas fragwürdige Porträt deutscher Präsidenten beiseite: Ob es Ferrara (und Renzi) gefällt oder nicht, es ist nun mal Fakt, dass die italienische Verfassung dem Staatspräsidenten weitergehende Befugnisse einräumt als das Grundgesetz dem Bundespräsidenten, zum Beispiel bei der Auftragsvergabe an den Regierungschef und der Auflösung des Parlaments. Ein politisch „blasser“ Staatsoberhaupt dürfte aber Renzis Bestreben entgegenkommen, die Macht der Exekutive zu stärken. In diese Richtung weisen bereits die von ihm eingeleiteten institutionellen Reformen: Abschaffung des „Doppelkammersystems“ und gleichzeitig ein Wahlgesetz, das dem Wahlsieger dank großzügiger Mehrheitsprämie im Parlament eine satte Mehrheit beschert.

Vorrangige Aufgabe des italienischen Staatsoberhaupts ist die Bewahrung des Gleichgewichts zwischen Staatsgewalt und Institutionen. Anders als Ferrara und wohl auch Renzi bin ich der Meinung, dass gerade angesichts dieser erstarkten Macht der Exekutive ein Staatspräsident gebraucht wird, der – im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Kompetenzen – sein Amt souverän und mit Autorität führt. Und sich nicht zum Grußonkel oder Sprachrohr des Regierungschefs degradieren lässt.

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