Die Angst des Patriarchen

In Kürze (vielleicht schon am 10. April) wird das zuständige Strafvollstreckungsgericht entscheiden, ob der rechtskräftig verurteilte Berlusconi seine Haftstrafe mit Hausarrest oder mit gemeinnütziger Arbeit zu verbüßen hat. Schon vor ein paar Wochen hatte das Kassationsgericht bestätigt, dass er zwei Jahre lang keine öffentliche Ämter bekleiden und weder das aktive noch das passive Wahlrecht ausüben darf. Der Reisepass wurde ihm bereits entzogen.

Dennoch faselte er davon, bei den Europawahlen als Spitzenkandidat von Forza Italia anzutreten. Eine Propagandashow und Absurdität, die EU-Kommissarin Reding lapidar kommentierte: „Die europäischen Regeln sind hierzu eindeutig“.

Das ganze Tamtam begleitet eine Unterschriftenkampagne von Berlusconis Familienblatt „Il Giornale“ unter dem Motto: „Disobbedisci!“ („Gehorche nicht!“). Faktisch ein Aufruf zum Gesetzesbruch, den Chefredakteur und Initiator Sallusti so begründet: „Die Gesetze erlauben die Kandidatur Berlusconis nicht, aber es sind betrügerische Gesetze“. Ja natürlich: Ob bzw. welche Gesetze „betrügerisch“ sind, entscheidet der Straftäter. Allerdings läuft die Kampagne schleppend. Ich habe nicht herausbekommen, wie hoch die Zahl der heldenhaft Ungehorsamen bisher ist. „Einige tausend“, so Sallustis vage Angabe einige Wochen nach Beginn der Sammlung. Der Knaller ist das nicht.

Absetzbewegungen

Berlusconi, die Verlobte und Pudel Dudù

Berlusconi, die Verlobte und Pudel Dudù

Berlusconis Angst wächst mit dem Herannahen seines Strafvollzugs. Aber in der Zwischenzeit krempelt er seine Partei um: Er meint offenbar, eine Frischenzellenkur genüge, um alles wieder auf Null zu stellen. Die alte Führungsriege der Forza Italia wird zunehmend ausgeschaltet, seine junge „Verlobte“ Francesca Pascale gewinnt an Einfluss. Um den alten Patriarchen hat sie einen „Schutzwall“ aufgebaut, den nur wenige passieren dürfen. Außer ihr selbst sind es vor allem die Senatorin (und enge Freundin der Pascale) Maria Rosaria Rossi, die Berlusconi auf Schritt und Tritt begleitet (Spitzname: „la Badante“, „die Pflegerin“), und der neu in die Führungsspitze berufene Giovanni Toti, ehemals Redakteur in B.s Nachrichtensendung TG4, eine blasse Figur mit geringer politischer Erfahrung. Aber devot gegenüber dem Capo.

Die alte Garde der Partei, die ihre Posten und Positionen schwinden sieht, ist in Aufruhr. Fast keinen von ihnen hat Berlusconi als Kandidaten für die Europawahl zugelassen. Mit dem Ergebnis, dass die Zahl derjenigen steigt, die zu Alfanos Nuovo Centrodestra wechseln. Oder die – wie der wegen Camorra-Verbindungen verurteilte, aber noch mächtige Regionalfürst Cosentino – eigene lokale Gruppierungen gründen („Forza Campania“).

Dass bei Berlusconi die Nerven blank liegen, zeigt sein erneuter Versuch, beim Staatspräsidenten – den er ansonsten permanent attackiert – Gehör zu finden. Er bat Napolitano um eine Unterredung, um ihn „über die momentane Situation seiner Partei zu informieren“, womit er wie immer seine persönliche Situation meinte. Ein letzter verzweifelter Versuch, um mit Hilfe des Staatspräsidenten zu erreichen, dass seine „politische Handlungsfähigkeit als Führer einer großen Volkspartei“ wiederherstellt wurde. Der Versuch war vergeblich – noch besser wäre es allerdings gewesen, Napolitano hätte ihm seine Tür gar nicht erst aufgemacht.

Renzi und Grillo besetzen die Arena

Berlusconi sieht sich in vielerlei Hinsicht politisch an den Rand gedrängt. Einerseits durch die Folgen seiner Verurteilung, andererseits weil die politische Bühne inzwischen von anderen dominiert wird: auf der Regierungsseite von Renzi, auf der Oppositionsseite von Grillo. Er selbst ist weder Renzis Koalitionspartner noch sein Hauptkontrahent als Oppositionsführer. Und kommt nicht damit zurecht, dass Renzi als Projektionsfläche für seine üblichen Hasstiraden auf „Linke und Kommunisten“ überhaupt nicht taugt. Die populistischen Waffen, die er immer meisterlich zu nutzen wusste, machen ihm Renzi und vor allem Grillo streitig. Schaut man sich die aktuellen Umfragen an, sieht es für die Truppe des Vorbestraften mit Blick auf die Europawahlen düster aus: Während die PD bei 30,5 und Grillos 5-Sternen-Bewegung bei 25,3 % liegen, sinkt Forza Italia mit 19 bis 20% auf den dritten Platz. Der Abwärtstrend wird sich wohl noch verstärken, denn Berlusconi muss diesmal auf die Wahlkampfarena verzichten, auf der er am stärksten punkten kann. Sollte Forza Italia tatsächlich unter die „magische“ 20%-Grenze sinken, ist eine zentrifugale Absetzbewegung möglich – zugunsten von Grillo, der Lega Nord und – vielleicht – auch ein bisschen von Renzi.

Auch wenn Berlusconi sich dazu entscheidet, die Kandidatur einer seiner Kinder als Geheimwaffe einzusetzen (worüber spekuliert wird): Seinen sich abzeichnenden politischen Abstieg wird er damit nicht aufhalten.

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