Der „Schock-Plan“

„Venghino siori, venghino!“ („hereinspaziert meine Herrschaften, hereinspaziert!“) scherzt der neue Ministerpräsident im venezianischen Dialekt mit den Journalisten, die an seiner Pressekonferenz über sein Reformprogramm teilnehmen. Wie ein Zirkusdirektor, der Zuschauer anlocken möchte. Der Stil, in dem er seinen „Piano Schock“ (O-Ton Renzi) präsentiert, erinnert an eine TV-Verkaufsshow. Unter der Überschrift „La svolta buona“ (ein Sprachspiel: „volta“ heißt Zeitpunkt, Gelegenheit, „svolta“ Wende) lässt er während seiner Rede „Werbeplakate“ mit den Maßnahmen des Reformpakets laufen. Und spart wie immer nicht mit Übertreibungen, lockeren Sprüchen und selbstbewusstem Anpreisen seines „Angebots“. So hemmungslos, dass Transportminister Lupi (ehemals PdL, jetzt Nuovo Centro Destra) leise, aber vernehmbar murmelt „Der ist noch schlimmer als Berlusconi“ – wohl als Kompliment gemeint.

Liste von Ankündigungen

Wer will noch mal, wer hat noch nicht ..

Wer will noch mal, wer hat noch nicht ..

Was beinhaltet Renzis „Schock-Plan“, abgesehen vom Stil? Man könnte sagen: auf der Ebene der Ankündigung viel, der Umsetzung wenig. Außer dem „institutionellen Reformpaket“, das er bereits vor Regierungsantritt mit Berlusconi aushandelte (neues Wahlgesetz, in der Abgeordnetenkammer schon verabschiedet, die Senatsabstimmung kommt noch, Verwandlung des Senats in eine Länderkammer, Verwaltungsreform), sieht der Plan vor allem Folgendes vor:

(1) Senkung der Einkommenssteuer für Geringverdiener (bis 25.000 Euro jährlich) um 10 %, was einer Entlastung von 80 bis 85 Euro monatlich entspricht;

(2) Senkung der Unternehmenssteuer ebenfalls um 10 %, finanziert durch eine erhöhte Besteuerung von Finanzvermögen um 20 bis 26 % (Staatsanleihen ausgenommen);

(3) Beschäftigungsprogramm („Jobs Act“) mit garantiertem Mindesteinkommen, allgemeiner Arbeitslosenunterstützung, effizienterer Arbeitsvermittlung, Ausbildungsreform und Erleichterung befristeter Beschäftigungen bis zu 3 Jahren, die achtmal ohne Begründung verlängert werden und bis zu 20 % der Belegschaft umfassen dürfen;

(4) Auszahlung staatlicher Schulden an die Unternehmen (Gesamtumfang ca. 68 Milliarden).

Weitere Maßnahmen u. a.: Sanierung von Schulgebäuden, geringere Stromtarife für Unternehmen, Programme im Umweltschutz.

Allein, mir fehlt der Glaube …

Positiv ist die Entscheidung, vor allem niedrige Einkommen steuerlich zu entlasten, auch weil es den Konsum wieder ankurbelt (Renzis griffige Formel: „10 Milliarden Euro für 10 Millionen Menschen“). Und gleichzeitig die Unternehmenssteuer zu senken, bei höherer Belastung unproduktiver Finanzvermögen. Auch das garantierte Mindesteinkommen und eine verbesserte Arbeitslosenunterstützung sind zu begrüßen. Von Maßnahmen im Bau- und Umweltschutzbereich können Beschäftigungsimpulse ausgehen.

Zweischneidig ist die geplante drastische Erleichterung befristeter Arbeitsverträge, die zwar ebenfalls die Beschäftigung fördern, aber zum weiteren Anwachsen des ohnehin großen Heeres der prekär Beschäftigten führen kann.

Was weitgehend fehlt, sind Maßnahmen im Bereich Forschung und Innovationen, der in Italien traditionell sträflich vernachlässigt wird. Hier wäre ein kleiner „Schock“ durchaus angebracht gewesen.

Soweit Renzis Absichtserklärungen, die bisher nur eine Auflistung von Programmpunkten darstellen. Konkrete Gesetzentwürfe zur Regelungen der einzelnen Vorhaben stehen noch aus. Vor allem aber – und das ist der Knackpunkt – konkrete Pläne zur finanziellen Deckung. Auch hier stellt Renzi nur eine Liste von Absichten vor, die – wie er selber zugibt – erst nach der Verabschiedung des „DEF“ (Documento di Economia e Finanza“) durch das Parlament in Angriff genommen werden kann. Wobei einige Maßnahmen auch der Zustimmung der EU bedürfen.

Finanzierung auf wackligen Beinen

Im Finanzierungspaket finden sich viele Vorhaben, die entweder schon von Monti und Letta (mehr oder weniger erfolgreich) auf den Weg gebracht wurden oder nur einmaligen Charakter haben, also nicht strukturell wirken: Einsparungen bei Politik und Verwaltung (einige eher „symbolischer“ Natur, wie weniger Dienstwagen für Regierungsmitglieder), Rückführung von ins Ausland verlagertem Kapital, Erhöhung des Defizits von derzeit 2,6 auf 3 % des BSP (hier muss die EU zustimmen) und Einsparungen, die sich aus der niedrigeren Verzinsung italienischer Staatsanleihen ergeben. Kein Wunder, dass Finanzminister Padoan, der vom Fach ist, während der Pressekonferenz etwas finster blickte. Sowohl er als auch Staatspräsident Napolitano sollen wegen der dubiosen Finanzierung starke Vorbehalte haben.

Vorbehalte, die fast alle Experten teilen. Renzi aber findet es „in-cre-di-bi-le!!“ („un-glaub-lich!!), dass die Solidität seiner Vorhaben überhaupt bezweifelt wird. Und schwört in der Fernsehsendung „Porta a porta“ von Bruno Vespa: „Wenn ich mein Wort nicht halte, können Sie mich einen Hampelmann nennen!“. Da hatte ich ein Dejà-vu-Erlebnis: Wer was es noch, der vor einigen Jahren in der gleichen Sendung einen „Vertrag mit den Italienern“ mit vielen Versprechungen feierlich unterzeichnete …?

Wir werden sehen. Es ist noch zu früh, um die Wirksamkeit von Renzis Regierungshandeln zu beurteilen. Wenn er uns nur ein wenig mit seiner Egomanie und seinen werbewirksamen Sprüchen verschonen würde … Caro Matteo, ist das zu viel verlangt?

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