Der Vorbestrafte als Staatsmann

Er ist rechtskräftig verurteilt, zu einer vierjährigen Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung und Steuerbetrugs. Diverse weitere Strafverfahren (Förderung der Prostitution Minderjähriger, Zeugenbestechung, Kauf von Abgeordneten) sind noch gegen ihn anhängig. Aufgrund der Verurteilung wurde ihm sein Abgeordnetenmandat im Senat entzogen, jegliche Ausübung von öffentlichen Ämtern ist ihm für die Dauer von sechs Jahren untersagt.

Auf dem Weg zum Staatspräsidenten

Auf dem Weg zum Staatspräsidenten

Und dennoch marschiert der Vorbestrafte als Delegationsleiter seiner Partei zum Staatspräsidenten, der nach dem – erzwungenen – Rücktritt Lettas Konsultationen zur Regierungsbildung führt. Nachdem Renzi mit diesem Vorbestraften die Eckpunkte eines neues Wahlgesetzes und einer Verfassungsreform ausgehandelt hat, die eine Abschaffung des Zwei-Kammer-Systems vorsieht.

Der gleiche Mann also, der – wäre er dafür nicht zu alt – eigentlich im Kittchen sitzen müsste und keine öffentliche Ämter bekleiden darf, betätigt sich als Verhandlungsführer gegenüber dem höchsten Mann im Staate und als Verfassungsreformer zum Wohle des Vaterlandes. Die Empörung darüber – in den Medien und in der Öffentlichkeit – hält sich in Grenzen. Dass die Unterredung bei Napolitano nur ein paar Minuten dauerte und die Atmosphäre „eisig“ gewesen sei, ist auch kein Trost.

Gefährlicher Pragmatismus

Sucht man nach Begründungen, wie so etwas in einem Rechtsstaat überhaupt möglich ist, stößt man auf ernüchternde Antworten. Ungeachtet seiner Verurteilung und der noch laufenden Gerichtsverfahren steht Forza Italia unverdrossen zu Berlusconi. Auch die abgespaltene „Neue Rechte Mitte“ sieht ihn als Justizopfer. Millionen Italiener erklären in Umfragen, Berlusconi bzw. seine Partei weiterhin wählen zu wollen. Da er nun mal der Leader der zweitgrößten Partei Italiens sei, könne man ihn einfach nicht übergehen – sagen nicht nur seine Anhänger und rechte Kommentatoren, sondern auch Vertreter des „gegnerischen“ Lagers. Ein neues Wahlgesetz könne nur auf den Weg gebracht werden, wenn Forza Italia – d.h. Berlusconi – mitspielt, argumentieren sie. Und der Staatspräsident habe keinen Einfluss darauf, welche Delegation eine Partei zu diesen Konsultationen schickt. Also hat Napolitano sich die Nase zuzuhalten und den Vorbestraften zu empfangen, welcher ihn seit Wochen und Monaten – im harmonischen Einklang mit Grillo – attackiert und des „Putsches“ bezichtigt, weil er es 2011 wagte, ihn, Berlusconi, zum Rücktritt zu drängen und durch Monti zu ersetzen.

Im Namen eines gnadenlosen „politischen Pragmatismus“ und angeblich im Interesse des Landes wird Berlusconi de facto, auch durch seine politische Gegner, rehabilitiert. Er ist wieder voll im Spiel und balanciert – schlau, wie er ist – geschickt zwischen staatsmännischer Allüre, Angriffen auf den Präsidenten und Ausfällen gegen die Justiz. Und beglückt Renzi mit dem zweifelhaftem Kompliment, der sei „ihm sehr ähnlich“.

Gab es Alternativen?

War diese politische Legitimation wirklich unvermeidlich? Ich meine nein. Beginnen wir mit dem Vorstoß Renzis, die Änderung des Wahlgesetzes und eine institutionelle Reform zuallererst mit Berlusconi auszuhandeln. Politisch notwendig war es nicht. Renzi hätte auch die Option gehabt, zunächst mit den Parteien zu verhandeln, die zu Lettas Regierungsmehrheit gehörten (Alfanos neue Rechte Mitte, Montis Zentrum). Und erst danach auch mit – allen! – Oppositionsparteien, u. a. Forza Italia. Weil es zweifellos richtig ist, dass eine Änderung des Wahlgesetzes von einer möglichst breiten Mehrheit getragen werden sollte.

Nun zu den präsidentiellen Konsultationen bei der Regierungsbildung: Auch hier hätte es andere Optionen gegeben, als einen Vorbestraften mit Mandatsverbot als Delegationsleiter zu empfangen. Nirgendwo steht geschrieben, dass der Staatspräsident diese Konsultationen mit den Parteichefs führen muss. Es steht nicht einmal geschrieben, dass er überhaupt irgendjemanden konsultieren muss. In der Verfassung heißt es nur: „Der Staatspräsident ernennt den Ministerpräsidenten und auf dessen Vorschlag die Minister“. Theoretisch könnte er also ganz auf Konsultationen verzichten (was in der Geschichte Italiens tatsächlich vorkam), obgleich sie guter demokratischer Brauch sind. Auf jeden Fall hat der Präsident auch die Möglichkeit (und Kompetenz), die Konsultationen z.B. auf die Präsidenten beider Kammern und die Fraktionsvorsitzenden – und nicht auf die Parteiführer – zu beschränken. Stattdessen überließ er die Entscheidung den politischen Kräften selbst. So hat die PD die Fraktionsvorsitzenden beauftragt (Parteichef Renzi war also nicht dabei), während Forza Italia – oh Wunder – Berlusconi mit zwei Pappkameraden schickte. Napolitano nahm dies hin, weil er – wie immer – eine „politische Zuspitzung“ vermeiden wollte, zu der es sonst angeblich gekommen wäre.

Diese „pragmatischen“ Überlegungen berücksichtigen allerdings nicht zwei für die künftige Entwicklung Italiens wesentliche Aspekte: Erstens wird sich Berlusconi erfahrungsgemäß nur so lange „staatsmännisch“ verhalten und an getroffene Vereinbarungen halten, als er meint, dass dies seinen persönlichen Interessen (seinen Unternehmen und Prozessen) dient, und zweitens ist es fatal, auf dem Altar des „Pragmatismus“ Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der politischen Moral zu opfern. Dadurch wird Italien nicht stabiler, im Gegenteil. Die Demokratie wird geschwächt und der destruktive Populismus gestärkt.

Dass Berlusconi seine Partei und einige Millionen Wähler hinter sich hat, ist leider richtig. Die demokratischen Parteien und Institutionen sollten aber durch ihr Handeln zeigen, dass ein Straftäter in der Politik nichts zu suchen hat. Alles andere unterstützt die Berlusconi-Wähler in der Überzeugung, ein Straftäter als Spitzenpolitiker und Staatsmann sei „normal“. Und „unnormal“ sei es nur, ihn überhaupt zu verurteilen.

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