Und ewig locken die Wählerstimmen

Mit bitterem Sarkasmus geht der Journalist Curzio Maltese in der „Repubblica“ auf die neuesten populistischen Trompetenstöße von Grillo und seines Guru Casaleggio in Sachen Einwanderung ein: „Mit ihrem Post über den Straftatbestand der illegalen Einreise … haben die Gründer der 5-Sterne-Bewegung besser als in Hunderten von Volksansprachen die Mechanismen der desaströsen Zweiten Republik und des italienischen politischen Verfalls erklärt. Da sie Genies sind, haben ihnen ein paar Zeilen gereicht: ‚Hätten wir während des Wahlkampfs die Abschaffung des Straftatbestands der illegalen Einreise vorgeschlagen, hätten wir prozentuale Ergebnisse in der Höhe telefonischer Vorwahlziffern bekommen‘. Die Casaleggio-Philosophie ist wundervoll schlicht: ‚Wir glauben an nichts, wir haben keine Prinzipien, wir sind weder rechts noch links … und wollen auch nichts ändern. Wir sagen nur das, was die Leute im jeweiligen Moment hören möchten, damit wir Stimmen, Konsens und Macht bekommen und ins Parlament schicken können, wen wir wollen“.

Hier liegt der Schlüssel

Tatsächlich ist der von Maltese zitierte Post (s. auch „Europa verweigert sich weiter“) der Schlüssel zum Verständnis von Grillo. Er erklärt die Apriori-Verweigerung aller Bündnisse, besonders mit der PD. Auch wenn die PD das komplette Programm der M5S übernehmen würde: Grillo und Casaleggio müssen sich verweigern, um nicht ihre rechten Wähler abzuschrecken. Da sie aber auch Wähler aus dem linken Lager haben, müssen sie PdL und Pd(-L) als ein und dasselbe darstellen. „Tutti a casa“, heißt das Motto. Alle sind gleich, alle müssen weg. Außer der M5S und vor allem Grillo und Casaleggio selbst.

So auch in der Einwanderungsfrage. Grillo und Casaleggio wissen, dass die Wähler aus dem rechten und teilweise auch linken Lager hier eine restriktive(re) Politik wünschen und – besonders in Krisenzeiten – für Ängste vor „Überfremdung“ und „kriminellen Ausländern“ anfällig sind. Der Post, in dem sie die Initiative ihrer eigenen Senatoren zur Abschaffung des Straftatbestands Illegale Einreise attackieren, ist weder Einzelfall noch neu. Schon bei der Frage, ob in Italien geborene Migrantenkinder die Staatsbürgerschaft erlangen dürfen, sagte Grillo „Njet“. Und kommentierte vor einigen Monaten den mörderischen Amoklauf eines Einwanderers so: „Wie viele Kabobos (so hieß der Täter) gibt es in Italien? Hunderte, Tausende??“.

Auch bei Themen wie Europa, Steuern, Korruption, politische „Kaste“ schielt Grillo auf rechte Wählerstimmen und profiliert sich als „Paladin der schweigenden Mehrheit“: Raus aus dem Euro, alle Politiker sind Räuber und Verbrecher, weg mit ihnen, weg mit den Steuern.

Hoch auf die „schweigende Mehrheit“ …

In einem Post von 13. Oktober thematisiert er direkt die „schweigende Mehrheit“. „Es ist richtig, sich um die Rechte der Minderheiten zu kümmern. Aber wer kümmert sich um die Rechte der Mehrheit? … Die Mehrheit hat heute weniger Einfluss als die Minderheit … Die Mehrheit darf nichts … Sie darf nur schweigen. Sie ist das machtlose Sparschwein der Macht“. Groteskerweise gehöre nach der Verfassung die Souveränität dem Volk. Es sei wie damals in der Sowjetunion, wo auf dem Papier die Arbeiter herrschten, in Wirklichkeit aber nur Stalin.

Was wirklich grotesk ist bei diesem Hoch auf die schweigende Mehrheit, ist der Umstand, dass Grillo und Casaleggio nicht mal den eigenen Leuten erlauben, selbständig zu denken und zu handeln. Sie beschwören das Recht der schweigenden Mehrheit auf Demokratie und Beteiligung, und unterdrücken und verbieten beides innerhalb der eigenen Reihen.

… und auf den Populismus

So sieht sich Grillo als Kreuzritter gegen Europa

So sieht sich Grillo als Kreuzritter gegen Europa

Dazu passt der Post, den Grillo ein paar Tage später veröffentlichte. Unter der Überschrift „Der M5S bei den Europawahlen“ – mit einem Bild, das Grillo als Kreuzritter darstellt – ruft er zum Kampf gegen das Europa der Banken, des Euros und der von der EZB ferngesteuerten Regierungen auf, vor allem gegen Ministerpräsident Letta. Seine Warnungen vor dem Populismus in Europa beantwortet er mit dessen Lob. Denn Populismus werde so definiert: „Haltung oder politische, soziale oder kulturelle Bewegung, die im Allgemeinen zu einer Lageverbesserung der ärmeren Klassen tendiert“. Deshalb werde die „populistische 5-Sternen-Bewegung“ an den Europawahlen teilnehmen und sie gewinnen („Es wird ein Kreuzzug sein. Hoch die Herzen!“). Interessanterweise zitiert Grillo die Populismus-Definition, die er aus online-Lexika herausgefischt hat, nur halb. Denn dort liest man auch Folgendes: „Populismus: demagogische Haltung, die sich an Erwartungen des Volkes anpasst, unabhängig von jeglicher Bewertung deren Charakter und deren Sinngehalt“. Aber das passt ihm nicht. Weil es zu gut passt.

Grillo versucht zunehmend, sich als rechtspopulistischer Anführer einer heterogenen Protestbewegung zu profilieren. Die Frage ist, wie seine Aktivisten darauf reagieren. Werden sich einige von ihnen dem Diktat von Grillo und Casaleggio widersetzen? Oder werden sie sich auf rechtspopulistischer Basis „vereinheitlichen“ lassen?

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