Nach dem Urteil

Auf die rechtskräftige Verurteilung B.s reagieren er und seine PdL mit einer Kakophonie: einerseits militante Aufrufe gegen die Justiz und die Forderung nach sofortigen Neuwahlen, andererseits die Beteuerung, die Regierungskoalition mit der PD fortsetzen zu wollen (aber natürlich nur dann, wenn sich „irgendwie“ ein Weg findet, B. vor seiner Strafe zu retten). Gleichzeitig versuchen sie schamlos, den Staatspräsidenten unter Druck zu setzen. Erst hieß es, man stelle an Napolitano ein „Gnadengesuch“. Nachdem vom Präsidenten ein klares „Njet“ kam, trugen ihm die PdL-Abgesandten, Brunetta und Schifani, andere „Bedingungen“ vor, unten denen man bereit sei, in der Koalition zu bleiben. Zum Beispiel eine schöne Amnestie. Oder die „Nachbesserung“ eines von der Monti:Regierung erlassenen Gesetzes, das den Mandatsverlust für Abgeordnete vorsieht, die rechtskräftig zu mehr als 2 Jahren Haft verurteilt wurden. Oder noch besser gleich eine passende Justizreform „ad personam“, welche die Richterschaft insgesamt lahmlegt.

PdL will Legalität außer Kraft setzen

Was Napolitano zu diesen „Bedingungen“ genau gesagt hat, ist nicht bekannt. In einem nebulösen Kommuniqué hieß es, die Fraktionsvorsitzenden hätten dem Staatspräsidenten „ihre Einschätzungen über die Umstände vorgetragen, die nach ihrer Auffassung notwendig sind, um eine positive Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen in Italien und eine Stabilisierung zu erreichen, die dem Regierungshandeln nützt“. Ähhh?? Napolitano erklärte, „alle Aspekte der Angelegenheit überdenken“ zu wollen. Was das auch immer bedeuten mag (hoffentlich will er damit die PdL erst einmal nur hinhalten, um Zeit zu gewinnen).

Ein schwieriges Unterfangen. Denn die PdL – weit davon entfernt, B. zum Rücktritt zu drängen – sieht in dem Kassationsurteil ein Attentat auf Demokratie und Verfassung. In der Verfassung stehe doch, dass das Volk souverän ist. B. sei vom Volk gewählt, die Richter jedoch nicht. Also dürfen die Richter nicht richten und B. nicht verurteilt werden. Wozu der PdL-Koordinator Sandro Bondi Folgendes zu Protokoll gab: „Entweder ist die Politik in der Lage, Lösungen zu finden, die wieder das normale Gleichgewicht zwischen den Staatsgewalten herstellen und gleichzeitig dem Leader der größten Partei Italiens die volle politische Handlungsfähigkeit ermöglichen – oder Italien riskiert eine Art von Bürgerkrieg mit unabsehbaren Folgen für alle“. Abgesehen davon, dass die PdL nicht mehr die „größte Partei Italiens“ ist, würde also das „normale Gleichgewicht zwischen den Staatsgewalten“ dann wieder hergestellt, wenn „die Politik“ ein letztinstanzliches Urteil des obersten Gerichts aufhebt, damit ein Straftäter wieder ungestört seinen politischen und sonstigen Geschäften nachgehen kann. Für Stefano Fassina von der PD bewegen sich die Äußerungen Bondis „am Rande des Umsturzes“. „Am Rande“ hätte er sich sparen können, denn die Beschwörung von Bürgerkriegsszenarien, wenn „die Politik“ nicht die Justiz stilllegt, sind Aufrufe zur Abschaffung des Rechtsstaates. Völlig zurecht bezeichnet Stefano Rodotà in einem Interview mit der Tageszeitung „Manifesto“ diese Äußerungen als „gegen die Verfassungsordnung gerichtet“ und warnt, sie als „nur verbale Entgleisungen“ zu verharmlosen.

Standing Ovations für den Straftäter

Die PdL ist keine Partei, sondern eine Truppe, die ohne jedes (Un)rechtsbewusstsein nur den Willen ihres Padrone vollstrecken will. Einen Tag nach dem Kassationsurteil empfingen sie ihn mit langen Standing Ovations und gelobten ihm Treue, einschließlich der Bereitschaft, jederzeit aus Solidarität ihre Mandate zurückzugeben. Keine Stimme, die sich auch nur zögerlich erhob, um zu fragen, ob die Entscheidung des obersten italienischen Gesichts nicht doch zu respektieren sei. Und ob ein millionenfacher Steuerbetrüger wirklich der richtige Leader ist.

B. und die so genannten „Tauben“ innerhalb der PdL beteuerten inzwischen, die Letta-Regierung stehe nicht zur Disposition. Aber nicht aus politischem Verantwortungsgefühl, sondern allein wegen der Erwägung, beim Verbleiben in der Regierungskoalition hätte B. mehr Handlungsspielraum, um seinen Hals zu retten. Zumal B. befürchtet, dass der Vertrauensverlust Italiens, den eine Regierungskrise auslösen würde, auch seine eigenen Unternehmen treffen könnte.

Der amtierende PD-Generalsekretär Epifani

Der amtierende PD-Generalsekretär Epifani

Die PD und Ministerpräsident Letta halten noch an der Linie fest: „Fortsetzung der Regierung im Interesse Italiens“. Doch angesichts der Angriffe der PdL gegen die Justiz und ihres Versuchs, den Staatspräsidenten unter Druck zu setzen, wird dies schwieriger. PD-Generalsekretär Epifani erklärte in einem Zeitungsinterview, der Schutz der Institutionen und der Legalität habe Vorrang vor allen anderen Abwägungen. Sie seien das Fundament, ohne den alles ins Wanken gerät. Das Urteil sei zu respektieren und seine Folgen umzusetzen. Und man müsse aufhören, den Präsidenten in ungebührlicher Weise „am Jackett zu zerren“. Ein klares Wort, das jedem „Mauschelei“-Verdacht den Boden entzieht, aber bei der PdL einen Sturm der Entrüstung auslöste.

Dunkle Aussichten

Napolitano selbst will auf keinen Fall Neuwahlen, bevor ein neues Wahlgesetz verabschiedet ist. Er würde wohl deswegen auch ein mögliches Rücktrittsgesuch Lettas zurückzuweisen und ihn stattdessen mit der Suche nach einer neuen Mehrheit im Parlament beauftragen, zumindest um dieses Vorhaben noch zu Ende zu bringen.

Doch das Dilemma scheint unlösbar: Dass Letta ohne die PdL eine neue Mehrheit zur Verabschiedung der dringendsten Gesetze findet, verhindert Grillo, der seinen Abgeordneten jeglichen Gedanken an eine Koalition mit der PD – und sei sie nur auf Zeit – verboten hat. Andererseits würde ein neuer Urnengang bei gleichem Wahlgesetz wieder zu keiner stabilen Mehrheit führen, zumindest im Senat. Wird jedoch – mit oder ohne Neuwahlen – die Koalition fortgeführt, bleibt die PD an einer Gruppe von Desperados gekettet, die auf das Kommando eines Straftäters hört. Auch wenn B. pro forma das Zepter an seine älteste Tochter Marina übergibt, was inzwischen als wahrscheinlich gilt.

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