Kommunalwahlen mit überraschendem Ergebnis

Die Umfragen auf nationaler Ebene zeigen abnehmende Zustimmungswerte für die krisengeschüttelte PD, steigende Werte für Berlusconis PdL und leichte Verluste für Grillos 5-Sterne-Bewegung (M5S). Doch die Ergebnisse der Kommunal- und Bürgermeisterwahlen, die am vergangenen Sonntag und am Montag in vielen Städten und Gemeinden stattfanden, gehen – allen Umfragen zum Trotz – in die umgekehrte Richtung: Die PD und Mittelinks-Kandidaten liegen überall deutlich vorne, die PdL verliert ebenso deutlich und die M5S stürzt – verglichen mit den Ergebnissen der Parlamentswahlen in Februar – ab.

In fünf von 16 Gemeinden, die zugleich Provinzhauptstädte sind (u. a. Rom), setzte die PD ihre Kandidaten schon im ersten Wahlgang durch; in zehn weiteren, wo in einer Woche Stichwahlen stattfinden, liegt sie vor den rechten Kandidaten. Von besonderer politischer Relevanz ist das Ergebnis in Rom. Dort erreichte Ignazio Marino (PD) 42,8 % und damit 12 Punkte mehr als der bisherige Bürgermeister Alemanno (PdL), der auf nur 30,2 % kam. Auf den M5S-Kandidaten De Vito entfielen 12,4 %, was gegenüber 27,3 % bei den Parlamentswahlen weniger als die Hälfte ist. Der unabhängige Alfio Marchini (Unternehmer, Spitzname „Beautiful“) schaffte aus dem Stand 9,4 %.

Wichtig ist, dass überall die Wahlbeteiligung stark zurückging: Sie liegt insgesamt bei 62 %, 15 % weniger als bei den Kommunalwahlen 2008. In Rom ist die Zahl der Nichtwähler mit 47,2 % besonders hoch, fast die Hälfte der Römer blieb zu Hause.

Ignazio Marino, Bürgermeister von Rom?

Ignazio Marino, Bürgermeister von Rom?

Deutungsversuche

Eine politische Deutung des bisherigen (bei den Stichwahlen sind noch Verschiebungen möglich) Wahlergebnisses ist schwierig. Einerseits, weil ein Vergleich von nationalen mit lokalen Wahltrends nicht ohne weiteres plausibel ist. Auf nationaler Ebene spielt das Auftreten charismatischer, populistischer „Alleinunterhalter“ wie Berlusconi und Grillo eine starke Rolle, weniger bei Kommunalwahlen. Hier spielen spezifische lokale Faktoren eine größere Rolle, sowie auch „erprobte“ Verankerungsstrukturen vor Ort, die bei der PD offensichtlich immer noch besser funktionieren als bei der ganz auf B. fixierten PdL oder bei einer „flüssigen“ Protestbewegung wie dem M5S. Natürlich ist auch das persönliche Profil der jeweiligen Kandidaten wichtig: Dem römischen Bürgermeister-Kandidaten Marino kam sicher zugute, dass er gegenüber der Mehrheitslinie der PD eigene Positionen vertrat, z. B. erklärte er bei der Präsidentenwahl, für Rodotà (und nicht Napolitano) zu stimmen. Alemanno wiederum hat enorm geschadet, dass er ein erbärmlich schlechter Bürgermeister war. Seine „Pannen“ und die Ineffizienz seiner Verwaltung haben die Römer in Rage gebracht, so wie die Unverfrorenheit, mit der er eigene Verwandte und Freunde mit Posten und Pöstchen versorgte.

Die Verluste der M5S sind sicherlich zu einem guten Teil den Nichtwählern geschuldet. Was aber auch ein wichtiges politisches Signal ist, weil sich darin die Enttäuschung vieler Grillo-Wähler zeigt. Dass vor allem junge Wähler bis 35 Jahren nicht wählen gingen, lässt vermuten, dass dies in erster Linie zu Lasten des M5S ging, weil gerade von ihnen besonders viele bei den Parlamentswahlen M5S wählten. Der Absturz ist durchgängig und tief, die M5S verliert ca. die Hälfte der Stimmen, an mehreren Orten sogar zwei Drittel.

„Vi capisco“

„Ich verstehe Euch“ postete Grillo am Tag danach. Wer PD und PdL wählte, habe bewusst und konsequent gewählt, und zwar korrupte, parasitär von öffentlichen Geldern lebende Parteien, gerichtlich Verurteilte, Umweltsünder und Betrüger, weil er sich davon eigene Vorteile verspricht. Es gebe ein „Italien A“ und ein „Italien B“, so seine manichäische Deutung: zu „Italien A“ gehören die Profiteure des korrupten Systems (Politiker und von der Politik Lebende, öffentliche Angestellte, die meisten Rentner). Die seien zur Wahl gegangen und hätten PD oder PdL gewählt. Zu „Italien B“ gehören Selbständige, prekär Beschäftigte, Arbeitslose, Studenten, kleine und mittlere Unternehmer. Die hätten M5S gewählt oder gar nicht. Dass die Wirklichkeit etwas komplexer aussieht, belegen Untersuchungen über das Wahlverhalten, aber tut für Grillo nichts zur Sache. Er lenkt damit auch von eigenen Fehlern und Versäumnissen ab. Was allerdings nicht ganz gelingt, wie die heftige Auseinandersetzung unter Grillos Anhängern im Web zeigt. Sogar einige M5S-Abgeordnete wagen es, ihm und seiner Strategie offen zu widersprechen, obwohl er mit seinem „Büro für Kommunikation“ gerade diesen auferlegt hatte, zum Wahlergebnis die Klappe zu halten.

Die Wahlniederlage ist also heftig, dennoch halte ich es für falsch, daraus abzuleiten, dass „Grillos 5 Sterne“ am Erlöschen sind. Seine Bewegung und sein Wählerpotenzial sind so flüssig und heterogen, dass Auf- und Ab-Entwicklungen immer wieder zu erwarten sind. Viel wird davon abhängen, wie bzw. ob es die Anhänger und die Abgeordneten der M5S schaffen, die Alleinherrschaft ihres Leaders und das Manko an innerer Demokratie aufzubrechen. Und zu einer konstruktiveren Politik zu kommen.

Auch die PD wäre gut beraten, aus dem überraschend guten Ergebnis keine voreiligen Schlüsse zu ziehen: Bis zu den Stichwahlen kann es noch einige Verschiebungen und „Mobilisierungseffekte“ geben. In Rom erklärte der unterlegene M5S-Kandidat, er werde nicht zur Stichwahl gehen. Was seine 12,4 % Wählern und was die 9,4 % Wähler von „Beautiful“ machen werden, ist offen. Zu glauben, den Sieg schon in der Tasche zu haben, hat sich – gerade bei der PD – schon oft als fataler Fehler erwiesen.

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