11 Jahre danach: Polizeigewalt gegen G8-Gegner verurteilt

Es geschah exakt vor 11 Jahren, während des G8-Gipfels im Juli 2001 in Genua. Nachts stürmten Polizisten des Mobilen Einsatzkommandos die Diaz-Schule in Genua, in der viele G8-Gegner schliefen, und schlugen mit unvorstellbarer Brutalität auf die Jugendlichen ein. Hinterher transportierten die Ambulanzen 82 blutüberströmte Verletzte ab: mit Schädelbrüchen, Frakturen, inneren Blutungen, Platzwunden. Den Journalisten, die erst nach dem Einsatz Zugang zum Tatort bekamen, bot sich ein Bild des Grauens: riesige Blutlachen, blutbespritzte Wände und Heizkörper, auf dem Boden herumliegende zerrissene Kleidungsstücke. „Eine Schlächterei“ kommentierte der für die Ermittlungen zuständige Vicequestore.

Die Schlächter wurden in erster Instanz mit einem skandalösen Urteil freigesprochen, u. a. – wie im Berufungsverfahren bewiesen wurde – mit manipuliertem Beweismaterial, um die Gewaltexzesse zu rechtfertigen: Molotowcocktails und Äxte wurden von Polizisten nachträglich in die Schule geschleust, Metallteile aus den Rücksäcken der Jugendlichen genommen und als „Waffenmaterial“ präsentiert, Protokolle verfälscht. Von leitenden Polizeibeamten genehmigt oder gar veranlasst, die nach dem Freispruch weiter prächtig Karriere machten.

Das Kassationsgericht hat jetzt das Berufungsurteil bestätigt und unmissverständlich erklärt, dass sich im Fall „Diaz“ alle involvierten Polizeibeamten schuldig gemacht haben: die Schläger wegen schwerer Körperverletzung, aber auch ihre Chefs wegen manipulierter Beweise und vorsätzlicher Falschaussage. Die bittere Seite des Urteils: Keiner der Schuldigen muss die verhängten mehrjährigen Gefängnisstrafen antreten, denn die Straftatbestände sind verjährt. Immerhin wurden die verurteilten Polizeioberen ihrer Funktionen enthoben, für die Dauer von fünf Jahren dürfen sie keine öffentlichen Ämter bekleiden.

Die Opfer und ihre Anwälte reagierten mit Genugtuung, verwiesen aber zu Recht darauf, dass 11 Jahre nötig waren, um den skandalösen Freispruch zu revidieren. Genug, um die Straftaten inzwischen verjähren zu lassen. Für die Opfer wie auch für Amnesty International bleibt die Frage, wie die ungeheuerlichen Übergriffe staatlicher Organe in der Diaz-Schule in einer Demokratie überhaupt möglich waren. Sie erinnern daran, dass die damals amtierende Regierung Berlusconi wegen des G8-Gipfels in Genua offensiv zu „hartem Durchgreifen“ aufrief. Die Stadt habe einer Festung geglichen und wegen der Protestdemonstrationen, bei denen auch ein junger Demonstrant zu Tode kam, ein geradezu hysterisches Klima geherrscht. Auch nach den blutigen Vorkommnissen in der Diaz-Schule stellte sich der ehemalige Innenminister Scajola (PdL) voll auf die Seite der Schlägertruppen und ihrer Befehlshaber.

Dass das Kassationsgericht endlich Recht gesprochen hat, ist von unschätzbarem Wert. Aber auch dieses Urteil kann die tiefe Unruhe und Erschütterung nicht beseitigen, die aus den schockierenden Vorfällen in Genua entstanden. Und zwar darüber, wie schnell auch in einem demokratischen Land alle Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Unverletzlichkeit der Person und der Menschenwürde mit Füssen getreten werden können. Und wie viele willige Vollzugsgehilfen sich im Zweifelsfall dafür finden – als ob es genügt, bei ihnen nur ein Schalter umzulegen. Die politisch Hauptverantwortlichen für das damalige Geschehen – Berlusconi und Scajola – blieben bis heute unbehelligt (erst 2010 stolperte Scajola über eine Korruptionsaffäre). Sogar die Regierung Monti ist indirekt betroffen, denn der Polizeichef Gianni De Gennaro, der sich 2001 als oberster Einsatzleiter und Vertuscher profilierte, ist heute Staatssekretär in Montis Ministerratspräsidium, mit der Zuständigkeit für Nachrichtendienste. Und es sieht nicht so aus, dass er seinen Posten verlieren wird.

„Der Fall Diaz muss in unserem Gedächtnis bleiben“, mahnte Innenministerin Cancellieri nach dem Urteil. Sie hat recht, denn er erinnert uns daran, wie fragil und schutzbedürftig Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind. Auch mitten im Herzen Europas.

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