Der Fluch der Bamboccioni

„Bamboccione“ heißt auf Deutsch so etwas wie „Riesenbaby“. So bezeichnet man in Italien – halb verächtlich, halb wohlwollend – diejenigen, die noch als Erwachsene bei ihren Eltern leben. Es sind nicht wenige, es werden immer mehr. Vor allem ausländische Kommentatoren erklären dies gern mit Besonderheiten der italienischen Mentalität: die Liebe der verhätschelten Jungs zur Mamma, der „süditalienische Hang zu parasitärer Existenz“, die engen Familienbande.

Ohne solche kulturellen Erklärungsmuster ganz beiseite schieben zu wollen: Sie lassen mindestens genauso wichtige „harte“ Faktoren außer Acht. Vor allem die ökonomischen Verhältnisse, in denen die Familie notgedrungen zum entscheidenden „sozialen Auffangnetz“ wird.

Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Italien bei über 26% (6 Prozentpunkte über dem europäischen Durchschnitt). Die Quote „regulärer“ Beschäftigung liegt unter dem europäischen Niveau und geht stetig weiter zurück. Im wirtschaftlich stärkeren Norden lag 2008 der Anteil der unbefristeten Einstellungen bei 23%, 2010 nur noch bei 15%. Junge Leute sind von der Krise besonders betroffen, da sie am wenigsten verdienen, vorwiegend prekär arbeiten und als erste auf der Straße landen. Wenn sie arbeitslos sind, greift kein staatliches Unterstützungssystem. Die Familie muss alles auffangen. Die vor Kündigung geschützte Arbeit des Vaters bildet die Sicherheit für Sohn oder Tochter. Ebenso die (aus deutscher Sicht) Merkwürdigkeit, dass der Vater bei seiner Verrentung neben seine Rente auch noch eine sog. „Liquidazione“ bekommt, eine Art Abfindung in nicht unbeträchtlicher Höhe, die er aber meist dazu verwendet, um seinen Nachkommen eine Wohnung zu kaufen. 40% der jungen Italiener bezeichnet die Unterstützung durch Eltern und Verwandte als „wichtigsten Erfolgsfaktor“ ihrer Zukunft, 90% aller Italiener sieht in der Familie die entscheidende „soziale Absicherung“.

„Welfamily statt Welfare“ nennen das italienische Sozialwissenschaftler. So bleiben erwachsene Töchter und (vor allem) Söhne immer länger im Elternhaus oder kehren dorthin zurück, wenn sie ihren Job wieder verloren haben. Die Kosten für eine eigene Wohnung können sie nicht tragen, also schlafen die „Bamboccioni“ weiter im Kinderzimmer und sitzen mit am elterlichen Mittagstisch. Nach den Daten des Forschungsinstituts ISTAT lebten 1995 35,5%, 2009 schon 42,4% der 25-34jährigen noch im Elternhaus. Besonders hoch ist dieser Anteil bei Männern (44% 1995, 52% 2009) und im Süden (ca. 60%).

Die Monti-Regierung begründet ihre Pläne zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes und zur Veränderung des Rentensystems auch mit dieser sozialen Schieflage, die Ältere in hohem Maße schützt, während die Jugend jeglicher Zukunftsperspektive beraubt sind. Da ist was dran, aber nur, wenn sie harte Einschränkungen für ältere Arbeitnehmer und Rentner mit ebenso massiven Maßnahmen zur Ausbildung und dauerhaften Beschäftigung der Jüngeren verbindet. Andernfalls ist die Klage der Rentner, die ihnen aufgebürdeten Kürzungen würden nicht nur sie treffen, sondern auch ihre Kinder und Enkelkinder, vollkommen berechtigt.

Die Rechnung geht nur auf, wenn in die Jugend gezielt und strukturell investiert wird. Ansonsten werden die Sparmaßnahmen Ältere wie Jüngere ärmer machen und die wirtschaftliche Rezession beschleunigen. Bisher ist in Montis Programm „zur Rettung Italiens“ von einer solchen Kurskorrektur zugunsten der jungen Generationen nicht viel zu entdecken, abgesehen von ein paar Steuererleichterungen für Unternehmen, die Junge und Frauen einstellen. Doch im Hinblick auf Ausbildungsförderung und Beschäftigungsprogramme für Berufseinsteiger ist wenig vorgesehen. Damit sie finanziert werden können, muss die Regierung stärker als bisher auf Steuergerechtigkeit setzen und wirksam gegen die milliardenschwere Steuerhinterziehung vorgehen. Ohne eine solche Kurskorrektur wird die „Rettung Italiens“ nicht gelingen.

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