Horror vacui

Italien wankt nach dem Börsenabsturz. Gerade jetzt, wo entschlossenes Handel nötiger wäre denn je, bietet die Regierung ein Bild des Elends: Sie ist zerstritten und konfus wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Der politisch geschwächte Ministerpräsident kümmert sich nur um seine Justizquerelen und Privatgeschäfte, der Finanzminister wird von den eigenen Leuten unter Beschuss genommen und ist in Korruptionsskandale verwickelt. Es droht die Entstehung eines gefährlichen politischen Vakuums, was für das Land und ganz Europa fatale Folgen hätte.

Es ist dieser „Horror vacui“, der Staatspräsident Napolitano umtreibt und ihn immer wieder den nationalen Zusammenhalt, das verantwortungsvolle Handeln der Regierung (und Opposition!) und die Stärkung der demokratischen Institutionen anmahnen lässt. Er, der greise Gentleman mit diskretem Auftreten, und nicht der Schwadroneur B. ist jetzt der Fels in der Brandung. Den ihm von der Verfassung zugewiesenen Kompetenzen und Interventionsmöglichkeiten sind allerdings Grenzen gesetzt. Aus Verantwortung als oberster Garant der Stabilität des Landes geht er hier bis an die Grenze. Seine Autorität wird dadurch gestärkt, dass er sich bei den Bürgerinnen und Bürgern wachsender Beliebtheit und hohen Respekts erfreut, und zwar aus allen Lagern, obwohl er aus dem linken Spektrum kommt. Seine Zustimmungswerte liegen bei 95%. Weshalb es sich B. (dessen Zustimmungswerte bei mickrigen 26% liegen) auch nicht leisten kann, ihn offen anzugehen (was B. gerne tun würde und zu besseren Zeiten auch ausgiebig tat).

So bleibt Napolitano der wichtigste Gegenpol zu B. und seiner Chaostruppe. Als B. und Bossi bei den Volksabstimmungen im Juni die Italiener zur Nichtwahl ermunterten, erklärte Napolitano trocken: „Ich werde, wie immer, meine Bürgerpflicht erfüllen“. Als die Regierung und insbesondere die Lega ein Gesetzesdekret zur Befreiung Neapels von den giftigen Müllbergen blockierten, forderte er rasches Handeln und vor allem strukturelle, langfristig wirkende Maßnahmen. Als die Lega anlässlich des 150jährigen Jubiläums der Einheit Italiens offen separatistische Parolen verbreitete, ließ der Staatspräsident keine Gelegenheit aus, um die staatliche Einheit und die Solidarität zwischen den Regionen als Grundlage der italienischen Demokratie anzupreisen. Und als B. in letzter Sekunde in das Einsparungspaket klammheimlich die zigste Regelung „ad personam“ reinschmuggeln wollte, ließ ihn Napolitano – ohne großes Getöse, diskret über Vermittler – wissen, dass er so etwas nie unterschreiben würde, das könne B. vergessen. Woraufhin der Trickser seinen Rückzieher machte.

Jetzt, wo den Staatsfinanzen unter dem mächtigen Druck der Märkte der Absturz drohte, meldete sich der Staatspräsident erneut zu Wort. Während B. schwieg, verkündete Napolitano einen eindringlichen Appell zum nationalen Zusammenhalt, jenseits aller partikularen Interessen und taktischen Streitereien. Einerseits, um beruhigend auf die eigenen Bürger und die internationale Öffentlichkeit zu wirken, und andererseits, um Regierung und Opposition zur raschen Verabschiedung des Sparprogramms von Finanzmister Tremonti zu bewegen. Einen ersten Erfolg kann er schon verbuchen: Kurz nach seiner Intervention verständigten sich Regierungs- und Oppositionsparteien darauf, das Paket im Eilverfahren durchs Parlament zu bringen. Und B. brach endlich sein Schweigen, um mürrisch zu erklären, er sei ebenfalls für den nationalen Zusammenhalt. Man munkelt, Staatssekretär Letta, seine rechte Hand, der auch für die „Standleitung“ zum Quirinalpalast zuständig ist, habe ihm dabei mächtig Beine gemacht.

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