Putins Schatten auf der Wahl

Seit einigen Wochen beobachtet die italienische Marine intensivere Bewegungen der russischen Flotte im Mittelmeer. Das Mittelmeer war geopolitisch schon immer im Fokus des russischen Regimes und nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine und der Schließung des Bosporus für Militärschiffe ist seine Bedeutung gewachsen, verbunden mit einem gesteigerten Interesse an den Entwicklungen in Italien. Gerade jetzt, wo es kurz vor einer entscheidenden Wahl steht.

Ende Juli waren russische Schiffe erstmalig auch auf der Adria gesichtet worden. Der Zerstörer mit Raketenwerfern „Admiral Tributs“ manövrierte auf der Höhe der abruzzischen Küste und der Kreuzer „Varyag“ in der Nähe vom südapulischen Otranto. Admiral Giuseppe Cavo Dragone, der für die italienische Oberaufsicht über die russischen Bewegungen im Mittelmeer verantwortlich ist, erklärte in einem Zeitungsinterview, Ziel des russischen Manövers sei es gewesen, die Bewegungen des amerikanischen Flugzeugträgers „Truman“ zu blockieren. Die italienische Marine habe sofort reagiert und mit Patrouillenfahrten von drei Fregatten die russischen Schiffe durch intensives „Beschatten“, wie es im Militärjargon heißt, unter Kontrolle gehalten. Der Admiral wies auch daraufhin, dass Putin am 31. Juli ein Dokument unterzeichnet hat, das die strategische Bedeutung des ganzen – zentralen sowie östlichen – Mittelmeeres für die russischen Interessen bekräftigt. Der Westen müsse sich darauf einstellen, das dies für Russland auch nach einem Ende des Ukraine- Krieges so bleiben werde.

Putins Interesse an Destabilisierung

Gleichzeitig mehren sich Äußerungen von Vertretern des russischen Regimes über bereits stattgefundene und erhoffte Regierungswechsel in Europa. Putins Bauchredner Dmitri Medwedew twitterte neulich: „Vier europäische Regierungen sind in kurzer Zeit zurückgetreten, aber das ist noch nicht das Ende. Die Stimmen der Wähler sind ein mächtiges Einflussinstrument, also handeln Sie, europäische Nachbarn, und bestrafen sie diese Idioten für ihre Dummheit!“.

Auch Putins politischer Berater Dmitrij Suslov und Josef Diskin, der Vizepräsident eines Kreml-nahen Umfrageinstituts ist, setzen auf weitere Regierungswechsel und ein Erstarken des Populismus im Westen.

Suslov räumte dabei offen ein, dass Russlands Blick insbesondere auf die anstehenden italienischen Wahlen gerichtet sei. Deren Ergebnis könne sein, dass eine neue (rechte) Regierung eine andere Haltung zu der „Spezialoperation in der Ukraine“ und den Sanktionen gegen Russland einnimmt. Was „zu einem Dominoeffekt in Europa führen“ könne.

Diskin stellt eine Verschärfung der inneren politischen Probleme in den westlichen Ländern infolge der „Spezialoperation“ fest, besonders in Italien: „Super-Mario“ habe es doch nicht geschafft, „mit dem Zauberstab in Italien wieder Ordnung zu schaffen“, auch dank der starken populistischen Parteien dort, freut er sich.

Putin und seine Leute betrachten offenbar Italien als eine Art „Vorposten“, um die Geschlossenheit des Westens gegen den Angriffskrieg zu brechen. Der Sturz des „Globalisten und Liberalen“ Draghi (O-Ton Dugin) durch die drei Putin-Versteher Salvini, Berlusconi und Conte war aus russischer Sicht ein wichtiger Meilenstein.

Hinweise auf Einmischung Russlands in Regierungskrise

„Ich habe mit dem russischen Botschafter Razov gesprochen, er hat mir erklärt, dass die Ukraine für zwanzigtausend Opfern in den umstrittenen Gebieten verantwortlich war und dass der russische Einmarsch notwendig war, weil das Risiko bestand, dass die Ukraine Russland angreift“. So Silvio Berlusconi, der wie Schröder Intimfreund des russischen Diktators ist, kurz bevor er mit Salvini und Conte die Regierungskrise einleitete. Und der bei einer Veranstaltung seiner Partei empfahl, Europa müsse „auf die Ukraine einwirken, damit diese Putins Forderungen akzeptiert“, also sich ergibt. Anders sei ein Frieden nicht zu erreichen.

Fast gleichzeitig mit der Nachricht über das Telefonat zwischen Berlusconi und dem russischen Botschafter veröffentlichte die Tageszeitung „La Stampa“ Auszüge aus Dokumenten, aus denen hervorgeht, dass die russische Botschaft Ende Mai auch Kontakt zu einem Vertrauten Salvinis aufnahm. Gegenstand des Gesprächs war die Erörterung der Möglichkeit, dass die drei Lega-Minister zurücktreten, um eine Regierungskrise herbeizuführen. Salvini dementierte prompt, die Zeitung bestätigte aber die Information und erklärte, bei den ihr vorliegenden Dokumenten handele sich um eine „Zusammenfassung geheimdienstlicher Informationen in dieser Angelegenheit“. Staatssekretär Gabrielli, dem auch die Leitung der italienischen Sicherheitsdienste untersteht, teilte mit, seine Behörde sei in der Sache nicht involviert, äußerte sich aber nicht zur Richtigkeit der Nachricht selbst.

Jenseits des Hin und Her von Dementis und Bestätigungen: Fakt ist, dass Putin auf verschiedenen Wegen das Ziel einer Destabilisierung der westlichen Länder verfolgt – und zwar schon lange. Italien liegt dabei aufgrund seiner geopolitischen Lage und seiner politischen Instabilität besonders im Fokus. Fakt ist auch, dass Russland zur Erreichung dieses Zieles vor massiven Einmischungen in die inneren Angelegenheiten Italiens nicht zurückschreckt. Das belegen nicht nur die engen Kontakte zu den rechtspopulistischen Parteien von Berlusconi und Salvini (die im Fall der Lega sogar in einem 2017 abgeschlossenen Kooperationsvertrag mit Putins Partei Vereinigtes Russland und in Finanzhilfen durch die russische Seite ihren Ausdruck finden), sondern auch ein intensiver „Hybridkrieg“ mit wiederholten Cyberattacken und einer Flut von fake news im Netz und anderen Medien, u. a. in privaten italienischen Fernsehsendern (die in der Mehrzahl Berlusconi gehören).

Dazu gehört auch der massive Einsatz von Geheimdienstagenten, die in die russische Botschaft, Konsulate und Kulturinstitute eingeschleust wurden. Der italienische Geheimdienst AISI und der COPASIR (Comitato Parlamentare per la Sicurezza della Repubblica) berichten, dass etwa ein Driittel des „diplomatischen Personals“ Russlands aus Agenten der drei russischen Geheimdienste FSB, SVR und GRU bestehen. Ganz frisch ist der Fall der Spionin Olga Kolobova – Deckname Maria Adela Kuhfeldt Rivera -, die bis 2018 am NATO-Stützpunkt Neapel freundschaftliche Beziehungen zu Mitarbeitern des Militärbündnisses geknüpft haben soll, um jahrelang vertrauliche Informationen zu sammeln und nach Moskau weiterzuleiten.

Melonis Beschwichtigungsstrategie

Wahrend Berlusconi und vor allem Salvini – auch im Wahlkampf – mit putinfreundlichen Äußerungen nicht sparen und versuchen, bei Militärhilfen und Sanktionen zu bremsen, versucht die Chefin der Fratelli d’Italia Giorgia Meloni, die Sorgen westlicher Länder über ihren möglichen Antritt als Regierungschefin zu zerstreuen. Sie präsentiert sich als zuverlässige „Atlantistin“, gibt sich europafreundlich und verspricht, alle gegenüber der EU eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Und bekräftigt, eine von ihr geführte („patriotische“) Regierung werde an der militärischen Unterstützung der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland festhalten.

Dass Meloni zu dem russischen Angriffskrieg eine andere Position einnimmt als Salvini und Berlusconi, trifft zu. Sie hat auch – obwohl sie die Oppositionspartei führt – in dieser Frage stets die Entscheidungen der Regierung Draghi mitgetragen.

Und dennoch: Sollte sie Ministerpräsidentin werden, dann nur dank der Stimmen von Berlusconis Forza Italia und und Salvinis Lega. Ihre Partei liegt zwar in Umfragen inzwischen wieder an erster Stelle (vor der PD), kann jedoch allein nichts ausrichten. Meloni ist von ihren Bündnispartnern abhängig. Das wird sich, wenn die rechte Koalition wie erwartet gewinnt, auch auf die Außenpolitik und die Haltung zu Putins Russland auswirken.

Die Beschwichtigungen können auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Melonis großes Vorbild der ungarische Autokrat Orban ist, dessen Präsidialsystem sie in Italien übernehmen möchte. Und auch ihre sonstige außenpolitische Freundschaften – die reaktionäre Nationalisten der PiS in Polen und von Le Pen in Frankreich, die rechtsextreme, rassistische Vox-Partei in Spanien und Trumps einstiger Chefstratege Steve Bannon in den USA – passen nicht zu dem Anstrich von Zuverlässigkeit, die sie im Wahlkampf vorführt.

Auch die Beteuerungen, eine von ihr geleitete Regierung werde „das Land nicht in den Bankrott führen und keine verrückten Sachen machen“, sind wahlkampftaktisch motiviert. Es mag auch sein, dass ihr inzwischen schwant, dass – sollte sie es schaffen, Ministerpräsidentin zu werden – das Regieren angesichts der außen- wie innenpolitischen dramatischen Situation kein Spaziergang sein wird. Zumal damit zu rechnen ist, dass innerhalb der Rechtskoalition, die sich jetzt im Wahlkampf geschlossen gibt, nach der Wahl Partikularinteressen und Differenzen virulent werden. Möglicherweise so weit virulent, dass Melonis Anspruch auf das höchste Regierungsamt in Frage gestellt werden könnte.

Indessen verfolgt Draghi seine Agenda weiter und hält sich aus dem Wahlkampfgetöse raus. Mit einer Ausnahme: Auf dem Meeting der katholisch-konservativen Vereinigung „Comunione e Liberazione“, die vor ein paar Tagen stattfand und wo sein Auftritt mit nicht endendem Applaus und Standing Ovations bejubelt wurde. Dort rief er dazu auf, zur Wahl zu gehen, und äußerte seine Überzeugung, dass „die nächste Regierung, unabhängig von ihrer politischen Couleur, die Schwierigkeiten bewältigen wird, die jetzt unüberwindbar erscheinen“. Eine Aussage, die eher auf seine institutionelle Rolle eines Regierungschefs „super partes“ zurückzuführen ist und nicht als verdeckte Zustimmung zu einer rechten Regierung missverstanden werden sollte. Was auch seine Mahnung verdeutlicht, die er zum Schluss ausspricht: „Protektionsimus und Isolationismus entsprechen nicht unseren nationalen Interessen. Ob autarkische Tendenzen oder Souveränismus: Italien war nie stark, wenn es im Alleingang handeln wollte“.

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