Salvini und Berlusconi erwägen „Föderation“

Forza Italia ist in Aufruhr: ihr alter Patron Berlusconi, der wegen der Spätfolgen einer Covid-Erkrankung wochenlang der politischen Bühne entsagen musste, ist wieder da. Und zwar mit einem brisanten Vorschlag. In einer kurzfristig einberufenen Videokonferenz mit prominenten Vertretern der Partei verkündete er, eine „Föderation“ von Forza Italia und Lega sei eine interessante Möglichkeit, die „große Aufmerksamkeit“ verdiene.

Vorausgegangen war am Vortag ein Interview von Salvini mit Berlusconis Familienblatt „Il Giornale“, in dem sich schon der Lega-Chef just für diesen Schritt ausgesprochen hatte. „Ich hoffe und glaube, dass wir noch im Juni zu einer Föderation der Mitterechts-Parteien kommen, die die Regierung Draghi unterstützen“, hatte er erklärt. Dazu werde gehören, dass in der Abgeordnetenkammer und im Senat gemeinsame Fraktionen gebildet werden und politische Initiativen gemeinsam geplant und durchgeführt werden. Die Frage des Journalisten, ob die Lega Forza Italia annektieren wolle, beantwortete er – natürlich – mit: „Keineswegs. Wir sind auf Augenhöhe, aber müssen einen Schritt nach vorne tun“.

„Auf Augenhöhe“ befinden sich beide Parteien allerdings ganz und gar nicht. Sowohl numerisch als auch politisch ist völlig klar, dass die Lega der weitaus stärkere „Föderationspartner“ wäre. Nach wie vor führt die Lega, trotz Verlusten, bei aktuellen Umfragen mit Werten zwischen 21 und 22%, während die FI auf dem fünften Platz zwischen 6 und 9% schwankt. Auch politisch ist es nicht Berlusconi, der im rechten Lager den Ton angibt, sondern Salvini. Und zunehmend, in der Oppositionsrolle, Giorgia Meloni mit den Fratelli d‘ Italia.

Vorschlag spaltet Forza Italia

Kein Wunder, dass ein Teil der „Forzisti“ gegen die Fusionspläne Sturm läuft, die von ihnen mit Recht eher als de facto-Annektion seitens der Lega betrachtet werden. Insbesondere FI-Vertreter aus Süditalien – angeführt von der populären Mara Carfagna (zurzeit Ministerin für den Süden in der Draghi-Regierung), die sich schon immer von Salvinis rabiatem Rechtspopulismus distanziert hat – rebellieren offen gegen den Boss. Auch die frühere Fraktionsvorsitzende und jetzige Ministerin für Regionale Angelegenheiten Mariastella Gelmini, die Berlusconi sehr nah steht, hat diesmal „No“ gesagt. Der alte Haudegen Antonio Tajani, der in der Partei in Vertretung Berlusconis die Rolle eines Koordinators übernommen hat, vermeidet direkte Kritik, betont aber, es gehe dabei nur um eine „intensivere Kooperation, bei der die beteiligten Parteien auf keinen Fall auf ihre eigene Geschichte und Identität“ verzichten würden. Was das auch immer konkret bedeuten mag.

Der Chef selbst hatte wohl mit soviel parteiinternem Widerspruch nicht gerechnet und versuchte nachträglich, die Wogen zu glätten. Es sei alles noch gar nicht in trockenen Tüchern, man werde die Idee noch in Ruhe prüfen. Doch Salvini, der Melonis Atem im Nacken spürt, macht Druck und drängt auf ein baldiges Treffen von Lega, FI und anderen kleinen Mitterechts-Gruppierungen, „um mit vereinten Kräften die Arbeit Draghis zu unterstützen“.

Salvinis Absichten sind klar – und Berlusconi?

Worum es Salvini in Wirklichkeit geht, ist nicht Draghis Erfolg, sondern die Aussicht, durch das Zusammenführen beider Parteien ein größeres politisches Gewicht zu erlangen. Die neue Formation würde in beiden Kammern des Parlaments die stärkste Fraktion stellen (und die 5Sterne, die noch diesen Platz innehaben, zurückdrängen). Das hätte natürlich auch Auswirkungen auf die Kraftverhältnisse innerhalb der seltsamen Allparteien-Koalition, die Draghi unterstützt: zum Vorteil vor allem der Lega und zum Nachteil der – noch fragilen – Achse von PD, 5SB und LEU. Mit dem für Salvini günstigen Nebeneffekt, seinen Anspruch auf die Leadership der Rechten zu stärken und den durch die Oppositionsrolle beflügelten Aufstieg der Rivalin Meloni zu bremsen. Eine wichtige Vorarbeit mit Blick auf die nächsten Wahlen, die – spätestens – 2023 stattfinden.

Künftig ganz vereint?

Die Gründe Salvinis, Forza Italia unter seinen Fittichen zu nehmen, sind also klar. Aber was treibt Berlusconi, ein solches „pro-Salvini“-Projekt zu favorisieren? Wie man Berlusconi kennt, tut er nie etwas, von dem er sich nicht persönliche Vorteile erwartet. Für sich und für seine Geschäfte. Die Frage lautet also: Was verspricht sich der alte Fuchs von einer solchen „Föderation“?

Eine Hypothese, die von mehreren Kommentatoren hin und her erwogen wird, ist die „Quirinal-Option“. Anfang des nächsten Jahres endet die Amtsperiode von Staatspräsident Mattarella. Er hat öffentlich wiederholt, auch kürzlich, dass er für ein zweites Mandat nicht zur Verfügung steht. Das ist zwar schade, aber: Wer will’s ihm verdenken? Nicht allein aufgrund seines hohen Alters, sondern auch angesichts der Wirren der italienischen Politik dürfte die Aussicht auf weitere sieben Jahre in diesem Amt auch für den stoischen Mattarella eher einen Albtraum sein.

Quirinal als „Fata Morgana“

Das höchste Staatsamt wird also frei. Und es wird – hinter vorgehaltener Hand schon länger – spekuliert, ob Berlusconi nicht genau das anstrebt, sozusagen als Krönung seiner für das Land zwar ruinösen, aber immerhin fast zwanzigjährigen „Herrschaft“. Und als eine Art „Wiedergutmachung“ für ihn, das ewig verfolgte Unschuldslamm. Dass diese Möglichkeit überhaupt erwogen wird, ist schon allein pervers. Ein Vorbestrafter, rechtskräftig verurteilter Steuerbetrüger mit einem Sack weiterer Verfahren auf dem Buckel (u. a. wegen Korruption, Amtsmissbrauch, Förderung der Prostitution von Minderjährigen und sonstigen „Petitessen“), die nur deswegen selten zu einem Schuldspruch führten, weil der Angeklagte gleichzeitig auch Regierungschef war und sich die passenden Gesetze „ad personam“ zusammenbastelte. Ein wahrhaft famoser Kandidat für das Amt des obersten Verfassungshüters, auch wenn die Option von den Medien im gleichen Atemzug als „wenig wahrscheinlich“ bewertet wird.

Dass der Betroffene selbst daran glaubt, ist hingegen angesichts seines Charakters durchaus möglich. Denn Berlusconis Selbstwertgefühl grenzte schon immer an Größenwahn, und das Alter mildert solche Pathologien selten, eher im Gegenteil. Salvini weiß das und kitzelt ihn damit, auch wenn er wahrscheinlich nicht wirklich vorhat, für eine solche abenteuerliche Kandidatur bis zum Ende einzutreten.

So dürfte das „Föderations-Deal“ zwischen den beiden lauten: Der eine sichert sich die Führung einer erweiterten Rechtspartei, die Meloni auf die zweite Position festnagelt, und der andere darf sich in präsidialen Träumen wiegen.

Noch ist alles offen

Dass die Operation gelingt bzw. überhaupt ernsthaft weiter verfolgt wird, ist zurzeit noch offen. Angesichts der heftigen Ablehnung vieler Abgeordneten und Funktionsträger von Forza Italia haben sowohl Berlusconi als auch der Lega-Chef in der Angelegenheit bereits einen Gang herunter geschaltet. „Interessante Idee, aber es eilt nicht – und noch ist nichts entschieden“, lautet inzwischen bei beiden die Parole.

Es bleibt abzuwarten, ob jemand es schafft, Berlusconi zu überzeugen, dass die Besteigung des Quirinals eine Illusion ist: einerseits schon numerisch, weil eine Mehrheit für einen so brisanten Kandidaten bei der (geheimen) Wahl des Staatspräsidenten äußerst unsicher ist (auch wegen der Kritiker im eigenen Lager und der Truppen von Meloni, die bereits Lunte gerochen hat), und andererseits weil Salvini selbst nach anfänglicher Unterstützung immer noch bei späteren Wahlgängen auf einen anderen, mehrheitsfähigen Kandidaten „umsteigen“ kann. Der alte Vertraute und Berater von Berlusconi Gianni Letta (dem Onkel des jetzigen PD-Generalsekretärs Enrico Letta) scheint gegenwärtig damit beschäftigt zu sein, genau dies dem Chef klarzumachen.

Böse Zungen munkeln allerdings, dass bei dem Deal zwischen Salvini und Berlusconi sich noch ein dritter als „steinerner Gast“ im Hintergrund bereit hält: Matteo Renzi mit seiner Kleinpartei Italia Viva, der – mal wieder – die Rolle des Züngleins an der Waage bei der Wahl des Staatspräsidenten übernehmen könnte. Doch bei aller Kritik: So schlecht kann nicht einmal ich von Renzi denken. Oder doch …?

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