Eine Scheidung mit Folgen

Die Konstruktion war von Anfang an abstrus: eine politische Bewegung, – die 5Sterne – überlässt ihre gesamten Mitgliederdaten und eine Plattform für Online-Abstimmungen, durch die ihre organisatorischen, politischen und personellen Entscheidungen getroffen werden, allein und unkontrolliert einer privaten Internetfirma: die „Casaleggio Associati GmbH“. An die Stelle interner – und transparenter – Instanzen tritt ein Privatunternehmer mit sogenannten „Dienstleistungen“, die ihm in Wahrheit die Kontrolle aller Strukturen und Entscheidungsprozesse der Organisation ermöglichen. Die Gründerväter Grillo und Gianroberto Casaleggio nannten es „direkte Online-Demokratie“ und zelebrierten es als Zukunftsmodell, das letztlich das parlamentarische System ersetzen sollte.

2016, kurz vor seinem Tod, vererbte Gianroberto Casaleggio seinem Sohn Davide nicht nur die Firma, sondern auch die Onlineplattform „Rousseau“ und verschaffte ihm damit den „dynastischen“ Zugriff auf eine Bewegung bzw. Partei, die derzeit (noch) die größten Fraktionen in der Abgeordnetenkammer und im Senat stellt und in Italien seit 2018 ununterbrochen mitregiert.

Die Utopie der „direkten Demokratie“ endet im Gerichtssaal

So war es bis heute, denn inzwischen ist der Bruch zwischen der 5SB und Casaleggio jr, der sich schon seit langem abzeichnete, offiziell vollzogen. De juristischen Querelen dauern aber noch an. Die Mär von der „direkten Online-Demokratie“ zerbröselt in einem Gewirr von Gerichtsverfahren, Einsprüchen und gegenseitigen Ultimaten, in deren Zentrum das Geld steht. Casaleggio verlangt von der 5SB die Begleichung von „Schulden“ in Höhe von 450.000 Euro, entstanden aus nicht entrichteten Zahlungen von 5SB-Abgeordneten für das Betreiben der Rousseau-Plattform.

Es war einmal … (Grillo, Casaleggio, Conte)

Doch die Entfremdung geht tiefer. Insbesondere nach der Kür des früheren Ministerpräsidenten Conte zum künftigen Leader der 5Sterne und der Anbahnung eines Bündnisses mit der PD ging Casaleggio zunehmend auf Konfrontationskurs zum mehrheitlichen „Regierungsflügel“ der Bewegung. Ende April verkündete er im „Blog delle Stelle“, den er vom Sprachrohr der 5Sterne jetzt in den „Blog dell‘ Associazione Rousseau“ verwandelt hat, die Trennung offiziell. Er rief dabei zur Bildung eines neuen „Ortes der Information und des Austauschs, überparteilich und offen für alle Bürger, die sich mit den globalen Veränderungen näher beschäftigen und ihre Stimme erheben wollen, um den Kampf um eine inklusive Zivilgesellschaft voranzutreiben“. Die Daten der ca. 130.000 Mitglieder will er allerdings nicht herausrücken. „Wir haben nun das Paradoxon, dass Casaleggio die 5SB verlässt, aber die Mitglieder bei ihm bleiben, weil die Bewegung keinen Zugriff auf ihre Daten hat“, kommentiert der Repubblica-Journalist Stefano Cappellini die surreale Situation.

Kopf- und orientierungslos

In dieser ohnehin vertrackten Lage fehlen zurzeit in der 5SB funktionierende Leitungsstrukturen, um die Interessen der Bewegung – auch gerichtlich – durchzusetzen. Der Leader „in pectore“ Conte ist noch nicht formal legitimiert und Casaleggio verweigert den Grillini die Möglichkeit, die Rousseau-Plattform zu einer digitalen Abstimmung über seine Wahl zu nutzen. Er erkennt nicht einmal den Anspruch Contes an, sich zur Wahl zu stellen, da er kein eingeschriebenes Mitglied sei und dazu keinerlei Befugnis habe (sagt ausgerechnet jemand, der ohne jegliche Legitimierung oder Funktion bisher alle Kontrollfäden der 5SB in seiner Hand hielt). Auch den Interim-Regenten Vito Crimi erkennt Casaleggio nicht an, mit der Begründung, die Mitglieder hätten sich bei der letzten Online-Abstimmung mehrheitlich für ein fünfköpfiges „Direktoriums“ ausgesprochen, das noch nicht gebildet wurde. Hier konnte Casaleggio vor Gericht tatsächlich einen Punktesieg landen: Die Regentschaft von Crimi sei in dem Moment abgelaufen, in dem die Entscheidung über die Bildung eines Direktoriums fiel, urteilten die Richter, folglich sei die Bewegung zurzeit führungslos. Grillo wurde, als „Garant“ der 5SB, vom Gericht daher aufgefordert, so schnell wie möglich Maßnahmen zu ergreifen, um diese „Führungslücke“ zu schließen. Was wiederum an der Weigerung Casaleggios scheitert, die Rousseau-Plattform für eine solche Abstimmung zur Verfügung zu stellen.

So beißt sich die Katze in den Schwanz. Und die im Parlament am stärksten vertretene politische Kraft ist „kopflos“. Grillo hat sich von der politischen Bühne weitgehend verabschiedet (zurzeit beschäftigt ihn vor allem eine Anzeige gegen seinen jüngsten Sprössling, der sich an einer Gruppenvergewaltigung beteiligt haben soll), der „abgelaufene“ Regent Crimi hat alle Hände voll zu tun mit Gerichten und Anwälten, und der frühere „capo politico“ Di Maio ist Außenminister und hält sich bei parteipolitischen Zwistigkeiten vornehm zurück.

Contes „Werte-Charta“ für die Erneuerung der 5SB

Conte selbst ist abgetaucht, seitdem er sich Ende Februar in Rom mit Grillo traf, der ihn zum neuen Leader designierte. Öffentliche Auftritte von ihm gibt es nur selten, höchstens interne Treffen mit den Parlamentsfraktionen der 5SB. „Im stillen Kämmerlein“ seiner römischen Wohnung arbeitet er aber intensiv, wie er verlauten ließ, an einem rechtlich wasserfesten Statut und einer neuen „Werte-Charta“. Assistiert wird er dabei nicht von grillinischen Parteigrößen, sondern von einem Anwalt und einem Notar seines Vertrauens (Conte ist selbst Rechtsanwalt).

Genaueres über den Inhalt weiß man nicht, aber eine Aussage des früheren Regierungschefs deutet darauf hin, dass er die politische Positionierung der 5Sterne – entgegen früheren Bekundungen – nicht mehr eindeutig bei Mittelinks sieht: „Man wird versuchen, uns in überholte Schemata zu pressen, aber wir müssen uns auf die Themen fokussieren und die Lösung von Problemen, ohne uns auf die Frage Rechts oder Links zu fixieren“.

Diese Rückkehr zum postideologischen Mantra des „Weder Rechts noch Links“, das einst Grillo predigte, hängt mit dem gegenwärtigen Zustand der Bewegung zusammen. Ihre Umfragewerte sinken (oder stagnieren), Casaleggio und das ihm nah stehende „enfant terrible“ Di Battista – beide rechtsorientiert – drohen mit der Bildung eines neuen, alternativen „Subjekts“ und innerhalb der politisch heterogenen Gruppe der Abgeordneten und Senatoren wächst die Unruhe. Einige von ihnen haben nach ihrem Nein zur Draghi-Regierung die Partei bereits verlassen, andere fürchten, wegen der noch bestehenden Regel, nur höchstens zweimal ein Mandat ausüben zu können, nicht mehr zur Wahl aufgestellt zu werden.

Die Absetzbewegungen bei den 5Sternen, die Konflikte mit Casaleggio und das Führungsvakuum legen die endemischen Schwächen der Bewegung bloß: das diffuse politische Profil, das Fehlen einer Debattenkultur und interner demokratischer Strukturen und der populistische Hang, flüchtigen Konsens aus Ressentiments jeglicher Art zu gewinnen. Schwächen, die den Übergang zu einer politischen Kraft mit Regierungsverantwortung enorm erschweren.

Die Folgen für das Bündnis mit der PD

Eine neue Leadership allein wird nicht reichen, um diese Schwierigkeiten zu überwinden. Zumal Conte innerhalb der Partei zwar beliebt, aber schwach verankert ist. Das macht ihn unsicher und beeinflussbar, was man deutlich am Beispiel der Kandidaturen für die im Oktober stattfindenden Kommunalwahlen in einigen Großstädten – u.a. in Rom, Mailand, Turin und Neapel – sieht. Mit negativen Folgen auch für ein Bündnis mit der PD.

Besonders stark zeigt sich das Problem bei der Aufstellung der Kandidaten für das Amt des römischen Oberbürgermeisters: Hier besteht Amtsinhaberin Virginia Raggi (5SB) auf ihrer erneuten Kandidatur. Sie soll parteiintern sogar gedroht haben, zur Casaleggio-Truppe zu wechseln, wenn die 5Sterne sie nicht dabei unterstützen. Tatsächlich würden inzwischen viele in der 5SB Raggi, die als beinah unbekannte Kandidatin seinerzeit über 60% erhielt, lieber heute als morgen wieder loswerden, da sie sich als unfähig erwiesen hat, die massiven und lang währenden Probleme der Hauptstadt auch nur annähernd in den Griff zu bekommen. Im Gegenteil: Diese haben sich während ihrer Amtszeit zum Teil verschärft, wie im Fall der Müllentsorgung. Aber in ihrem derzeitigen Zustand kann sich die Bewegung nicht leisten, ihren einstigen „Shooting Star“ fallen zu lassen. Und so hat sich inzwischen auch Conte – nolens volens – für ihre Kandidatur ausgesprochen.

Eine Entscheidung, die eine Verständigung mit der PD auf einem gemeinsamen Kandidaten in Rom unmöglich macht, denn die Sozialdemokraten können auf keinen Fall die Wahl einer so heftig umstrittenen Kandidatin unterstützen. Ihr Favorit wäre eigentlich der Präsident der Region Latium (und zurückgetretene Generalsekretär) Nicola Zingaretti, dessen Amtszeit 2023 endet. Zingaretti wollte aber wiederum nicht in einen Wettbewerb mit Raggi treten, da er in Latium gemeinsam mit den 5Sternen regiert und diese drohten, in einem solchen Fall die Koalition platzen zu lassen. Also trennen sich die Wege: Raggi tritt für die 5SB an und für die PD soll nun statt Zingaretti der – viel weniger populäre – ehemalige Finanzminister Gualtieri seinen Hut in den Ring werfen.

Ähnliche Probleme gibt es auch in anderen Städten. All das führt dazu, dass die PD mittlerweile gegenüber dem potentiellen Bündnispartner immer mehr auf Distanz geht. Generalsekretär Letta erklärte vor ein paar Tagen auf einer Versammlung des Parteivorstands, die PD müsse sich auf ihr eigenes Profil und ihr Programm konzentrieren – „im Wissen, dass nicht die Bündnisse unsere Identität bestimmen, sondern umgekehrt“.

Die Zuspitzung der Krise innerhalb der 5SB und deren unklare Zukunft gefährden die Pläne zur Bildung einer Mittelinks-Allianz bei Wahlen erheblich. Und erst recht die eines „strategischen“ Bündnisses zwischen PD und den 5Sternen.

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