Draghis „Regierung der nationalen Einheit“ startet
Gestern (13. Februar) wurden Mario Draghi und sein Kabinett von Staatspräsident Mattarella vereidigt: Von den 23 Ministern sind acht sogenannte „Techniker“ und 15 „Politiker“.
Vorausgegangen war eine zweite Konsultationsrunde mit den Parteien, bei der klar wurde, dass der frühere EZB-Präsident für seine „Notstandsregierung“ über eine sehr breite Mehrheit verfügt. Mit Ausnahme der postfaschistischen „Fratelli d‘ Italia“ von Giorgia Meloni hatten die Delegationen aller Parteien ihre Bereitschaft erklärt, Draghi zu unterstützen und in seiner Regierung mitzuwirken.
Draghis Kabinett
Über die Besetzung seines Kabinetts hat Draghi allein entschieden – mit einer Ausnahme: es geschah in enger Abstimmung mit dem Staatspräsidenten. Personalvorschläge der Parteien hat er vielfach nicht berücksichtigt.
In den Medien wurde spekuliert, ob es am Ende eine eher „technische“ oder „politische“ Regierung sein werde. Sieht man sich jetzt die Zusammensetzung des Kabinetts an (15 „Politiker“, nur 8 „Techniker“), könnte man meinen, Draghi habe sich für den Vorrang der Politik entschieden.
Zu einem etwas anderen Ergebnis kommt man, wenn man berücksichtigt, dass er den sogenannten Technikern die meisten Ressorts anvertraute, die für die Verwendung der Mittel aus dem Recovery Fund eine strategische Bedeutung haben. So geht das Finanzministerium an den Generaldirektor von Bankitalia Daniele Bianchi; Infrastrukturen und Mobilität übernimmt der Sprecher der „Italienischen Allianz für nachhaltige Entwicklung“ Giovannini; das „Super-Ministerium“ für ökologische Transformation wird der Physiker und technischer Leiter eines großen Unternehmens für Sicherheits- und Verteidigungssysteme, Roberto Cingolani, leiten. Der frühere Direktor von Vodafon Vittorio Colao wird Minister für Technologische Innovationen und Digitalisierung. Fachexperten übernehmen auch die Schulbildung sowie das Ressort für Hochschulen und Forschung. Die ehemalige Präfektin von Mailand Lamorgese wurde als Innenministerin bestätigt und Marta Cartabia, die als erste Frau dem Verfassungsgericht vorstand, wird Justizministerin.
Nur drei Ministerien von vergleichbarem Gewicht besetzte Draghi mit (prominenten) Vertretern der politischen Parteien: Giorgetti, Nummer 2 der Lega und Führer ihres „pro-europäischen“ Flügels, übernimmt das Wirtschaftsministerium, der Vize-Generalsekretär der PD Orlando wird Minister für Arbeit und Soziales, Di Maio, der Leader der 5-Sternebewegung, bleibt Außenminister.
Die Rolle der Parteien ist also bei der Regierungsbildung hinter der Person des Ministerpräsidenten zurückgetreten. Haben damit die Kommentatoren recht, die in der Geburt der neuen Regierung eine „Niederlage der Politik“ sehen? Nicht ganz, eher müsste man sagen: der Parteien. Denn der neue Regierungschef ist selbst allemal „politisch“ und wird auch seinem Kabinett – „Techniker“ eingeschlossen – eine politische Prägung geben.
Draghis Zugkraft hat gewirkt
Dass am Ende fast alle auf seinen Zug stiegen (möglicherweise sogar mehr, als ihm lieb war), sichert dem Ministerpräsidenten eine komfortable Mehrheit , schützt aber seine Regierung – gerade aufgrund ihres breiten Spektrums – nicht vor Turbulenzen.
Doch zunächst überwiegen, seitens der Medien sowie der politischen Kräfte, die positiven Reaktionen. Die Person des Ministerpräsidenten wird mitunter – auch aus unvermuteter Seite – enthusiastisch gepriesen. Zum Beispiel von Grillo, dem Gründer der einstigen „Vaffa‘- Bewegung“, der in einer Videobotschaft seinen verblüfften Anhängern zurief: „Er ist kein Banker, er ist ein Grillino, einer von uns!“.
Auch Salvini, der Leader der souveränistischen Lega, zeigt sich beeindruckt. Wenn er erklärt, die Lega habe „schon allein aus Respekt gegenüber Professor Draghi“ keine Vetos oder Forderungen gestellt, wirkt er fast devot. Noch ein Tag davor hatte er getönt „Niemals mit der Linken und mit Grillo! Neuwahlen sofort!“. Nun hieß es, seine Partei werde zum Wohle der Nation „mit einem überzeugten ‚Ja’“ dabei sein.
Renzi, der die Krise auslöste, befindet sich geradezu im Liebesrausch. Er sei „überglücklich“, erzählt er in jedem Interview. Draghi sei der Beste und Italia Viva werde alle seine Entscheidungen akzeptieren. Sagt derjenige, der die Sondierungsgespräche für eine dritte Conte-Regierung mit immer neuen politischen und personellen Forderungen platzen ließ. Er sieht sich als Geburtshelfer der neuen Regierung („Ein machiavellistisches Meisterwerk!“). Seine Freude könnte allerdings bald getrübt werden. Denn der Eingang der Lega in die Regierung stärkt deren Achse mit Berlusconis Forza Italia, die ebenfalls Draghi unterstützt, und konterkariert damit Renzis Plan, einen Pol von moderaten Rechten (FI) und zentristischen Kräften (seine Italia Viva in primis) zu etablieren, als Gegengewicht zur Allianz von Mittelinks und 5SB.
Nicht ganz so euphorisch zeigt sich der PD-Generalsekretär Zingaretti. Er erklärte, seine Partei, die für einen pro-europäischen Kurs, soziale Gerechtigkeit und eine rechtskonforme und humane Migrationspolitik steht (was man angesichts ihrer Haltung zu den libyschen Lagern allerdings sehr relativieren muss), habe bei den Konsultationen dem Wunsch des Staatspräsidenten entsprechend keine Vetos gestellt, aber darauf hingewiesen, dass die Präsenz der souveränistischen Lega die Arbeit der Regierung erschwert.
Riss in der 5-Sternebewegung
Die Frage der Regierungsbeteiligung hat innerhalb der 5SB einen tiefen Riss erzeugt. Grillo musste höchstpersönlich nach Rom kommen, um die Leitung der Gespräche mit Draghi zu übernehmen. Er setzte dabei ganz auf die ökologische Karte und forderte die Bildung eines „Super-Ministeriums für den ökologischen Übergang“, das auch für Energie und wirtschaftliche Entwicklung zuständig ist. Er konnte seine Forderung allerdings nur eingeschränkt durchsetzen: Dem „Super-Ministerium“ wird der Bereich Energie zugeteilt, aber nicht die Wirtschaft (die an den Lega-Mann Giorgetti geht).
Die Leitung der 5SB hatte die Schaffung des neuen Ministeriums bewusst in den Mittelpunkt der Online-Abstimmung gestellt, die vor allem die Kritiker gefordert hatten. Mit einer Formulierung, die offensichtlich manipulativ war („Bist du einverstanden, dass die 5SB eine technisch-politische Regierung unterstützt, welche die Einrichtung eines Super-Ministeriums für den Ökologischen Übergang vorsieht …?“).
Das Ergebnis war eine deutliche, aber nicht berauschende Mehrheit für „Ja“ (59,3%). Erst danach wusste Draghi, dass auch die Grillini mit am Bord waren, und konnte zum Staatspräsidenten gehen, um den Erfolg seiner Mission zu vermelden.
Großes Bündnis – große Sorgen
Angesichts der (zumindest numerisch) soliden Basis im Parlament wird die anstehende Vertrauensabstimmung für den Regierungschef ein Spaziergang sein. Daran werden auch das Nein oder die Enthaltung der rechtsradikalen Fratelli d‘ Italia (die Partei diskutiert noch) und die möglichen Nein-Stimmen (oder Enthaltungen) abtrünniger Grillini nichts ändern.
Das wird aber wahrscheinlich der letzte sorglose Gang sein, den Draghi erwartet. Denn die Breite seiner Koalition garantiert zwar sichere parlamentarische Mehrheiten, aber nicht ein konfliktloses Regierungshandeln. Insbesondere die sperrige Präsenz der Lega stellt das Lager von Mittelinks und 5SB vor große Probleme, auch was ihre Glaubwürdigkeit gegenüber ihrer Wählerschaft betrifft. Die können durch die wundersame Wandlung von Salvini von Saulus zu Paulus innerhalb von 24 Stunden nicht einfach beseitigt werden. Es ist abzuwarten, wie lange sich die Lega an ihrem „moderaten Kuschelkurs“ hält. Wenn sie regiert, muss sie ihrer Wählerschaft, die andere Kost gewohnt ist, auch liefern. Zumal die nächsten Wahlen möglicherweise nicht so weit sind.
Auch die Erschütterungen innerhalb der 5-Sterne werden nicht ohne Auswirkungen auf die Koalition bleiben. Schon jetzt fordern die Kritiker lautstark eine Wiederholung der Online-Abstimmung, weil das „Super-Ministerium“ nicht mit allen Kompetenzen ausgestattet wurde, welche die 5SB gefordert hatte. Die Regierungsbefürworter müssen unter Beweis stellen, dass „ihre“ Themen – allen voran der Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung und das „Bürgereinkommen“ – trotzdem für das Regierungshandeln zentral bleiben bzw. werden.
Ähnlich geht es der PD, der die Kröte Lega-Beteiligung noch im Halse steckt. Auch sie steht unter dem Druck, eigene Positionen zu behaupten, vor allem bei den Themen, die sie von der Lega abgrenzen: u. a. größere Steuergerechtigkeit durch Progression und eine humane und inklusive Flüchtlings- und Migrationspolitik.
Also führt die Breite des Regierungsbündnisses nicht automatisch zu mehr Handlungsfähigkeit und Stabilität. Sie kann auch – wie der Journalist und Autor Gad Lerner anmerkt – „die Reformkraft einer Regierung lähmen“. Das weiß auch Draghi, der nicht umsonst während seiner Konsultationen immer wieder betonte, er werde letztlich „für die Synthese sorgen“.
Viel hängt also davon ab, wie es der neue Ministerpräsident mit seiner Autorität schafft, sein seltsames Kabinett auf Kurs zu halten. Seine (bisher sparsamen) Äußerungen deuten daraufhin, dass er die Arbeit der Regierung zunächst auf die Themen fokussieren will, die krisenbedingt prioritär (und konsensfähig) sind, wie die Intensivierung der Impfkampagne, bessere Konzepte für den Schulbetrieb, schnelle Hilfen für Beschäftigte und Unternehmen, Investitionen im öffentlichen Sektor und Anreize für Innovationen.
Die unverrückbaren Parameter, in deren Rahmen das gesamte Handeln seiner Regierung stattfinden wird, hat Draghi allerdings genannt und die sind hochpolitisch: Seine Regierung werde „europeista, atlantista e ambientalista“ sein.