Renzi in Gentilonis Schatten
Den folgenden Artikel von Gerhard Mumelter entnehmen wir wieder dem Bozener „Salto“.
Zu den zahlreichen politischen Anomalien Italiens gehört, dass Matteo Renzi mehrere Jahre als Regierungschef amtieren konnte, ohne Mitglied des Parlaments zu sein. Diesen Makel will der Vorsitzende des Partito Democratico nun tilgen. Für welche Kammer der 42-jährige kandidieren wird, steht nicht endgültig fest. Nach Indiskretionen will er im Wahlkreis Arezzo für den Senat antreten, an dessen Abschaffung er mit dem Referendum deutlich gescheitert war. Renzi hält sich derzeit mit öffentlichen Erklärungen und TV-Auftritten auffällig zurück. Er reist mit dem Zug durch Italien und besucht täglich das Fussvolk seiner Partei, dem er sein neues Buch Avanti vorstellt. Für diese ungewohnte Bescheidenheit gibt es plausible Gründe. Im Partito Democratico hält sich angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen die Euphorie in Grenzen. In der Partei dauert das gewohnte Gezänk unvermindert an. Renzis interne Gegner wie Justizminister Orlando, Kulturminister Franceschini oder Apuliens Präsident Michele Emiliano fordern dessen Verzicht auf die Spitzenkandidatur – zugunsten von Claudio Gentiloni. Das wäre ein Verstoss gegen das Parteistatut, das vorsieht, dass der Vorsitzende sich um das Amt des Regierungschefs bewirbt. Gentilonis Sympathiewerte bei der Bevölkerung sind höher als jene Renzis. Ein Spiegelbild der Krise des PD sind die traditionsreichen Feste dell’Unitá: leere Stühle, abgesagte Diskussionen, miese Stimmung.
Die mässigen Umfragewerte für den Partito Democratico können freilich kaum verwundern. In Sizilien war die Partei nicht imstande, einen glaubwürdigen Kandidaten für die bevorstehenden Regionalwahlen aufzutreiben und die Entscheidung, sich mit Alfanos Partei zu verbünden, stösst in der Basis auf wenig Gegenliebe. Fazit: der Partito Democratico lässt ein klares Profil vermissen und frustriert seine Wähler. Trotz positiver Wirtschaftsentwicklung gelingt es der Partei kaum, Aufbruchstimmung zu vermitteln.
Gentilonis Regierung blickt schwierigen Wochen entgegen. Denn im Parlament steht die Haushaltsdebatte an und wesentliche Anliegen des PD drohen an der schwindenden Mehrheit im Senat scheitern.
Als erstes Opfer erweist sich das ius soli, die umstrittene Staatsbürgerschaft für Migranten. Die Entscheidung, den von der Kammer bereits genehmigten Text zurückzuziehen, hat in der Partei heftige Kontroversen ausgelöst. Verkehrsminister Graziano Delrio: „Un atto di paura grave.“ Doch das Risiko, eine Vertrauensabstimmung zu verlieren und damit den Sturz der Regierung herbeizuführen, war für Fraktionschef Zanda zu hoch. Im Partito Democratico wächst nun die Befürchtung, dass im Senat neben dem ius soli noch weitere als „leggi simbolo“ eingestufte Gesetzentwürfe auf der Strecke bleiben könnten, etwa die Abschaffung der Leibrenten, das biologische Testament und die Cannabis-Liberalisierung.
Auch in Sachen Wahlrecht bahnen sich erneut heftige Kontroversen an. Dabei muss Gentiloni im Senat vor allem den Widerstand der aus dem Partito Democratico ausgetretenen Linken fürchten, die damit droht, den Haushalt „ohne klare inhaltliche Änderungen zu versenken.“ Die Truppe um den ehemaligen Parteivorsitzenden Bersani zielt vor allem darauf ab, dem verhassten PD-Chef eine Lektion zu erteilen. Auch das Rechtsbündnis wittert nach dem Rückzieher um das ius soli Morgenluft, vor allem beim ewigen Tauziehen um das neue Wahlrecht, das in den kommenden Wochen eine Neuauflage erlebt. Es könnte zum wiederholten Male enden wie das Hornberger Schiessen. Für diesen Fall hat eine Gruppe von Juristen im Senat bereits vorgesorgt – eine neuerliche Eingabe ans Verfassungsgericht liegt schon bereit.
Fest steht in dieser chaotischen Situation nur eines: beim bevorstehenden Abstimmungsmarathon im Senat droht Gentiloni eine riskante Gratwanderung. Denn bisher waren die Interessen der Linken und Rechten zumindest in einem Punkt deckungsgleich: eine vorzeitige Auflösung des Senats – etwa nach einem Misstrauensvotum – galt bisher als ausgeschlossen. Doch nach vier Jahren und sechs Monaten haben sich die Senatoren mit Ende der zweiten Septemberwoche ihr Pensionsrecht bereits gesichert. Die in den kommenden Wochen erwartete Hektik im Senat hat freilich nicht nur politische Gründe. Denn die überarbeiteten Parlamentarier haben sich in diesem Sommer ganze 40 Tage Ferien gegönnt.