Pyrrhus-Sieg für Marchionne?

Beim Referendum über den neuen Werksvertrag im Turiner FIAT-Werk Mirafiori haben die Befürworter mit 54% knapp gesiegt. Wären nicht die Angestellten, die „white-collar-worker“, gewesen, wäre der „Schandvertrag“ möglicherweise noch gekippt (bei den Arbeitern soll es nur eine hauchdünne Mehrheit von 9 Stimmen gegeben haben). Die Arbeiter an den Montagelinien und in den Lackierereien haben sich dem „Diktat“ der Konzernspitze nicht gebeugt und mit „Nein“ gestimmt.

Dieses Ergebnis ist umso erstaunlicher, als die Ja-Front mit einem höheren Zustimmungswert gerechnet hatte als in Pomigliano, wo für sie nur „enttäuschende“ 64% dem ausgehandelten Vertrag zwischen den verschiedenen Gewerkschaften (außer der FIOM) und FIAT-Chef Marchionne zugestimmt hatten. (Der Vertrag von Pomigliano unterscheidet sich in den Grundzügen nicht von dem für Mirafiori und wurde in diesem Blog von Paolo Franco schon ausführlich dargestellt.) Und es ist umso erstaunlicher, weil die FIOM als einzige Kraft einer wahren Propagandamaschine für die Annahme des Vertrages gegenüberstand, zu der nicht nur die Unternehmensleitung („wenn das Nein siegt, wird Mirafiori verlagert und 7500 Arbeitsplätze werden gestrichen“) und die fünf Richtungsgewerkschaften gehörten, sondern auch die italienische Regierung (Berlusconi nutzte seinen Berlinbesuch, um die Neinsager einzuschüchtern) und die Oppositionsparteien bis weit ins linksliberale Lager hinein. Selbst im linken Gewerkschaftsdachverband CGIL, zu dem die Metallarbeitergewerkschaft FIOM gehört, gab es Stimmen, die auf Zustimmung drängten. Dennoch hätte beinahe David (die Arbeiter um die FIOM) Goliath besiegt.

Doch mit der Annahme des Vertrags sind die Probleme weder für die unmittelbar Beteiligten (Unternehmensleitung auf der einen, Beschäftigte auf der anderen Seite) noch für die politischen Kräfte (Regierung und Parteien) vom Tisch. Mit seinem rüden Vorgehen hat Marchionne zwar wie ein Bulldozer Bestehendes niedergerissen und bisherige Gewissheiten niedergewalzt, aber an dessen Stelle nichts Neues aufgebaut. Zwar hat er mit einem ähnlichen Vorgehen und ähnlichen Versprechungen auch die Beschäftigten von Chrysler (zum gleichen Konzern gehörig) übers Ohr gehauen, aber auch ihm dürfte klar sein, dass die von ihm angestrebte Politik gewerkschaftsfreier Betriebe (nach US-Vorbild) in Europa bzw. in Italien kaum durchsetzbar ist.

Zwar genießt er dabei die Rückendeckung von Berlusconi und seiner zuständigen Minister, doch selbst der Unternehmerverband CONFINDUSTRIA ist gegenüber einer solchen Strategie skeptisch. Er befürchtet wohl nicht zu Unrecht, dass beim Ausbooten der Gewerkschaften (zumindest der größten) und der Auflösung der Flächentarifverträge für die meisten seiner Mitglieder (und damit indirekt für alle) das Chaos ausbrechen wird. (Man stelle sich nur vor, wie ein Unternehmer bei 25 Angestellten mit sieben verschiedenen Gewerkschaften auf einmal Beschäftigungsverträge aushandeln muss, statt einfach einen „von oben“ national ausgehandelten zu übernehmen und für seine Verhältnisse zu modifizieren.)

Was strebt also Marchionne an? Vieles deutet darauf hin – analysiert man den FIAT-Chrysler-Konzern und seine Stellung auf dem Weltmarkt -, dass hier jemand Hasard spielt bzw. einen geordneten Rückzug vornimmt. Der Konzern ist trotz anders lautender blumiger Worte in einem Schrumpfungsprozess. (Auf dem europäischen Markt hat er im letzten Jahr gegenüber dem Vorjahr noch einmal zwei Prozentpunkte verloren und nur noch einen Marktanteil von 6,2 Prozent). Weder sind die angekündigten 20 Milliarden Investitionen (allein für Italien) irgendwo in Sicht, noch die angepeilte Marke von fünf Millionen gebauten und verkauften Autos (gegenwärtig knapp unter vier). Nur wer diese Marke überschreitet – darin sind sich alle Experten einig – kann mittelfristig sein Überleben sichern.

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