Mutiger Brief


Vorbemerkung der Redaktion

Wir veröffentlichen (in gekürzter Fassung) einen offenen Brief des Dekans der Fakultät Erziehungswissenschaften der Universität Bologna an die Parlamentsabgeordneten zum sogenannten „Gelmini-Gesetz“, das radikale Einschnitte in Schulen und Universitäten vorsieht. Den Text leitete uns Michael Schlicht zu.


Verehrte Abgeordnete

(…) Es bedarf wohl einigen Mutes zu behaupten, man befinde sich auf der Seite der Schule und der Universitäten, wenn man dreist

  • in der Grundschule den “maestro unico” (ein Lehrer für die gesamte Klasse) wiedereinführt,
  • die bislang praktizierte Lehrerausbildung abschafft,
  • den Vollzeitunterricht an der Grundschule abschafft bzw. radikal reduziert,
  • die finanzielle Ausstattung der Schulen drastisch einschränkt (z.B. müssen Lehrer oder sogar Schüler oft für Toilettenpapier, Kreide, Papier etc. sorgen),
  • 140.000 Lehrer und Verwaltungsangestellte der Schulen entlässt,
  • Vollzeitstunden (60 Minuten) an den Schulen einführt, die nur den Anschein von Effizienz geben, in Wirklichkeit aber die Schüler bis zur Erschöpfung treiben,
  • in den Lehrplänen der Oberschulen so fundamentale Fächer wie Geographie streicht,
  • in den Masterstudiengängen für zukünftige Grundschullehrer den Englischunterricht streicht,
  • für Universitäten folgende Budgetkürzungen vornimmt:
    – 63.5 Millionen € 2009;
    – 90 Millionen € 2010;
    – 316 Millionen € 2011;
    – 417 Millionen € 2012;
    – 455 Millionen € 2013;
  • verdiente Professoren nach Jahrzehnten des Dienstes am Gemeinwohl abfällig „Barone” nennt,
  • 90% der Stipendien für bedürftige Studenten kürzt,
  • die Probleme von 25.000 jungen Forschern ignoriert, die übrigens tausendfach Gratislektionen erteilen,
  • ganze Generationen dieser Forscher zur Emigration zwingt, wenn sie einigermaßen seriös leben und forschen wollen,
  • privaten Einrichtungen den Status staatlicher Universitäten verleiht, ohne dass sie dieselben Leistungen erbringen würden,
  • Vertretern von Privatfirmen Mitgliedschaft in den universitären Aufsichtsräten gewährt, wohl wissend, dass privatwirtschaftliche Initiativen im Aus- und Weiterbildungsbereich gewinnorientiert sind,
  • die Unabhängigkeit des Schul- und Universitätsministeriums untergräbt, indem man es vom Finanzministerium abhängig macht,
  • […]

Ich erkläre hiermit, dass ich, wenn das Gesetzesdekret DDL 1905 vom Parlament verabschiedet werden sollte, dies in Zukunft zu Beginn jeden Studienkurses als undemokratischen und antiliberalen Akt anzeigen werde, indem ich vorstehende Liste vorlesen, zusammen mit den Namen jener Abgeordneten, die dafür gestimmt haben. Darüber hinaus werde ich alles in meiner Macht stehende tun, damit andere Kollegen gleichermaßen aktiv werden.

Prof. Gabriele Azzaro – Universität Bologna

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