Fiat, Italien und die Krise

Fiat-Manager Sergio Marchionne hat mit seinen wirtschaftspolitischen Aussagen ein breites Echo vor allem in Italien, aber auch in den Medien der anderen EU-Länder hervorgerufen. Seine Kernaussage ist, dass man im Heimatland des Turiner Autobauers nicht profitabel produzieren könne und an diesem Umstand Politik und Gewerkschaften die Hauptverantwortung trügen. Als Beispiel führte der Italo-Kanadier – der im Gepäck seiner Eltern im Alter von vierzehn Jahren aus einem kleinen Dorf in den Abruzzen nach Kanada auswanderte – an, dass von den rund zwei Milliarden, den Fiat in 2010 an operativem Ertrag verbuchen konnte, nicht ein einziger Euro in Italien verdient wurde. Falls sich die Situation im „bel paese“ sich nicht grundlegend ändern werde, sähe sich – so Marchionne – der Autokonzern zukünftig gezwungen, seine Produktion schrittweise ins Ausland zu verlagern, um billiger produzieren zu können.

Die Reaktionen aus der Politik und dem Gewerkschaftslager überschlugen sich, kaum war das Interview mit dem Fiat-Manager von der RAI über die Fernsehschirme ausgestrahlt worden. Der Tenor war einhellig schroff ablehnend – von links bis rechts. Nur in Nuancen unterschieden sich die Protagonisten. Von den Regierungsparteien schoss die Lega von Umberto Bossi am schärfsten gegen den traditionell ungeliebten – weil reichen und privilegierten – Konzern aus „ihrem Norden“. Politiker aus Berlusconis PDL räsonierten larmoyant oder wiesen die auch an sie gerichtete Kritik als unsachlich oder abwegig zurück. Die Stellungnahmen aus dem politischen Spektrum von der Mitte bis Links kumulierten in dem Hinweis, dass Fiat sich dran erinnern möge, was die Automobilfabrik dem Land zu verdanken habe, und sie eine Verantwortung gegenüber Italien trage (eine Sichtweise, der sich im übrigen auch die meisten Medien – zumindest die gemäßigten –anschlossen). Die in den letzten Jahren von Berlusconi, der Lega und den Neofaschisten erfolgreich auseinanderdividierten Gewerkschaftsverbände reagierten allesamt ablehnend, aber doch unterschiedlich. Während die CGIL von einer Beleidigung der Arbeiter sprach, forderten Cisl und Uil eine an die Produktivität gebundene Lohnentwicklung, Gewinnbeteiligung und Mitbestimmung.

Nun ist der Umstand, dass in Italien seit mindestens anderthalb Jahrzehnten nicht profitabel produziert werden kann – im Gegensatz zu den anderen Kernländern der EU –, keine Neuigkeit, die Marchionne verkünden musste, sondern eine Tatsache, auf die schon andere seit geraumer Zeit hinweisen. Es sind nicht nur Wirtschaftsexperten aus der Wissenschaft, sondern auch Unternehmer, die beklagen, dass ausländisches Kapital im industriellen Sektor Italiens wegen der dortigen katastrophalen Rahmenbedingungen nicht investiert. Italien riskiere, so die Prognose, eine industrielle Wüste zu werden, falls sich nichts Grundlegendes ändert. Diese Ansicht war auch auf dem diesjährigen Treffen des Unternehmensverbandes Confindustria zu vernehmen. Wobei man in diesen Kreisen gern verschweigt oder vergisst, dass ein nicht unbedeutender Anteil der Misere dem Umstand zuzuschreiben ist, dass ihre Unternehmen – aus welchen Gründen auch immer – weit weniger in produktivitätssteigernde Maßnahmen investiert haben als vergleichbare im Ausland.

Auf jeden Fall hat Marchionne in ein Wespennest gestochen. Im Gegensatz zu anderen Stimmen vor ihm hat er deshalb ein so breites Echo ausgelöst, weil an FIAT immer noch die meisten Arbeitsplätze hängen und der Turiner Konzern einst Italiens erfolgreichen Aufstieg zur Industrienation symbolisierte.

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