Brief aus Italien (4)

Sieg und Niederlage

Di Pietro klagt Berlusconi an: „Du hast die Demokratie vergewaltigt.“ Antwort Berlusconi: „Stimmt gar nicht! Sie hat mich vorher provoziert!“

(Karikaturist Vauro auf der Santoro-Talkshow am 30. September 2010)

Am 29. September hatte B. Geburtstag, und es sollte der Tag sein, an dem er beweist, dass er immer noch der Master of the Universe ist. Er hatte es sich so gedacht: im Parlament eine staatsmännische Rede, er verkündet sein Programm für die verbleibenden drei Legislaturjahre (die „fünf Punkte“ Föderalismus, Steuerreform, Sicherheit, Süden, Justiz). Dann die Vertrauensfrage. Die Fini-Gruppe beugt sich dem Druck und stimmt zu. Und da die Aktion Abgeordnetenkauf, die B. in den letzten Tagen betrieb, Früchte zeigt, ein Sieg, der jedermann klar macht, wer Herr im Haus ist. Und der die verhassten Legalisten der Fini-Gruppe vernichtet, weil er ihr Überflüssigkeit beweist. Das war der Plan.

Auf den ersten Blick hatte er Erfolg: 342 Ja-Stimmen, 275 Nein, 3 Enthaltungen. Also 26 mehr als die magischen 316, die die absolute Mehrheit bedeuten, und 33 mehr als die 309, die an diesem Tag angesichts der Präsenzliste gereicht hätten. Trotzdem war B. hinterher stinkesauer. Und zwar nicht nur wegen der frechen Reden der Opposition, die er sich im Parlament anhören musste (Di Pietro: „Sie haben die Demokratie vergewaltigt, s. o.). Sondern auch wegen des Ergebnisses selbst, das für ihn bei genauerem Hinsehen niederschmetternd ist: Er bleibt auf die Fini-Gruppe angewiesen, von der diesem Tag über 30 Abgeordnete für die Regierung stimmten und ohne die es nicht gereicht hätte. Und die, um das Maß voll zu machen, gleichzeitig verkündete, nächste Woche mit der Gründung einer neuen Partei zu beginnen.

Zwar brachte der folgende Tag, der 30. September, ein wenig Trost. Denn nun stand die Vertrauensabstimmung im Senat an, für B. gegenwärtig ein Heimspiel. Weshalb er so guter Dinge war, dass er den staunenden Senatoren – vor laufenden Fernsehkameras – beiläufig mitteilte, wer in den letzten Jahren die Welt gerettet hat. Wer war es, der Obama nach dem Bankrott der Lehman Brothers riet, die amerikanischen Banken und damit das globale Kreditsystem zu retten? Wer war es, der während der Georgien-Krise Putin davon abhielt, seine Panzer nach Tiflis rollen zu lassen, und damit den Weltfrieden rettete? Dreimal darf man raten: natürlich der von aller Welt bewunderte Staatsmann B. Hier verlief die Abstimmung über die Vertrauensfrage denn auch nach Wunsch: 129 Nein, 174 Ja, und davon nur 13 „Wackelkandidaten“ (vor allem aus der Fini-Gruppe), also nicht genug, um die absolute Mehrheit (die hier genau bei 161 liegt) in Frage zu stellen.

Trotzdem ist die Situation paradox. B. versucht mit allen Mitteln, Fini zu vernichten, und bleibt trotzdem im Parlament auf ihn angewiesen. Womit seine Koalition, statt der bisherigen „zwei Beine“ PdL und Lega, von nun an deren vier hat. Neben der Fini-Gruppe auch die Gruppe der „Verantwortlichen“, alias Käuflichen, die B. in den letzten Wochen zusammenbrachte, auch wenn er dabei auf halbem Wege stecken blieb, und die nun auf Erfüllung aller Versprechen warten, die ihnen B. bei dieser Gelegenheit machte.

Über allem steht die Frage, ob es im Frühjahr 2011 Neuwahlen gibt. Einerseits wünscht sie sich B. so schnell wie möglich, bevor sich die Linke einigen kann und Fini seine neue Partei aufgebaut hat. Oder, schlimmer noch, sich im Zentrum ein „dritter Pol“ (Fini – Casini – Rutelli) gebildet hat. Andererseits hat er in den letzten Monaten an Popularität verloren, der Ausgang ist nicht mehr ganz so sicher. Und dann hat auch noch der Staatspräsident bei Neuwahlen ein starkes Mitspracherecht. Für B. besonders beunruhigend sind Überlegungen, die es gegenwärtig zwischen der Fini-Gruppe, den „Zentristen“ und der Opposition gibt, vor Neuwahlen eine „technische“ Übergangskoalition zu bilden, deren einziger Zweck die Verabschiedung eines veränderten Wahlrechts wäre. Während B. weiß, dass sein Schicksal an der „Porcata“ hängt. Vorerst kann er sich damit trösten, dass seine Mehrheit im Senat eine solche Lösung verhindern würde. Wieder einmal scheint alles blockiert, aber ist auch alles im Fluss.

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