Brief aus Italien (1)
Das Gottesgeschenk
B. hatte kürzlich einen Auftritt in Russland: Es gab ein Forum über die Standards der Demokratie, für die russische Regierung halb eine Alibiveranstaltung, halb ein Wagnis, mit dem sie dokumentieren wollte, dass sie sich den Problemen der russischen Demokratie stellt. Das Forum bestand aus Spitzenpolitikern, Ökonomen, Journalisten und Intellektuellen aus aller Welt. Hier gab Putin auch seinem Freund B., dem Paradiesvogel aus Italien, die Möglichkeit, zu Wort zu kommen. B. dekretierte ohne Umschweife, dass „Putin und Medvedjev ein Gottesgeschenk fürs russische Volk“ seien, womit er auch – wen erstaunt es noch bei B.? – ihrem Umgang mit der Opposition seinen Segen erteilte. (Putin kommentierte, B.s Rede sei „improvisiert“, aber „schön“ und „groß“ gewesen). B.s rhetorischer Schlenker, dass es „überall Probleme mit der Demokratie gibt“, war die Überleitung, um seine Version der italienischen Verhältnisse vorzutragen. Wir kennen sie seit seinem Auftritt vor dem Bonner EVP-Kongress: Unterdrückung durch Bürokratie, Fiskus und „kommunistische“ Justiz. Natürlich ging es ihm vor allem um letztere, weil sie ihn mit „erfundenen Anklagen“ verfolge und damit „die Regierbarkeit des Landes aufs Spiel setzt“. Diesmal folgte noch ein Angriff auf seinen koalitionsinternen Kritiker Fini, den „Berufspolitiker“, der sich „seinen eigenen kleinen politischen Kramladen aufmacht, um noch irgendwie mitzuzählen“ (B. unterschlug, dass und warum er Fini zuvor aus der PdL geworfen hatte).
Was verschafft Fini die Ehre, vor einem Forum, das sich nahe Moskau versammelt hatte, auch in Abwesenheit zum Anschauungsmaterial für „Demokratieprobleme“ zu avancieren? Der Grund ist einfach: Eine Woche zuvor hatte Fini vor seiner neuen Gruppe Futuro e Libertà eine Grundsatzrede gehalten, in der er nicht, wie vielleicht erhofft, zu Kreuze gekrochen, sondern den endgültigen Trennungsstrich zu B. gezogen hatte. Die von Fini mitgegründete PdL gebe es nicht mehr, sie sei durch seinen „illiberalen, autoritären, stalinistischen Ausschluss“ liquidiert worden. „Was es nicht mehr gibt, dahin kann man nicht mehr zurückkehren.“ Um dann minutiös aufzuzählen, worin er sich von B. unterscheide: in der Sozialpolitik, in der Fini lineare Kürzungen (z. B. bei Polizei und Schulen) ablehnt; in der Migrationspolitik, die nicht auf den Kampf gegen Illegale und „Kniefälle vor Ghaddafi“ zu reduzieren sei; bei der Föderalismus-Reform, die sich am italienischen Gesamtinteresse und nicht am Partialinteresse der Lega orientieren müsse. Auch beim Wahlrecht stellte sich Fini auf die Seite der „Porcata“-Gegner. Und schließlich in der Justizpolitik, die B. so am Herzen liegt. Hier kam ihm Fini weiter entgegen als rechtsstaatlich eigentlich noch vertretbar: Es müsse eine Regelung gefunden werden, um die gegen B. laufenden Verfahren für die Dauer seiner Amtszeit auszusetzen, damit er „in Ruhe weiterregieren“ könne. Um dann aber doch eine Grenze zu ziehen: „Suspendierung“ bedeute nicht „Aufhebung“, eine „permanente Straflosigkeit darf es nicht geben“. B. geht es gerade um letztere. Zu B.s Ausfällen gegen die „kommunistische“ Richterschaft stellte Fini kühl fest, diese bleibe „ein Bollwerk der italienischen Demokratie“.
Dass Fini seine Abrechnung nicht als Lagerwechsel inszenierte, ist für B. das eigentlich Gefährliche. Fini präsentiert sich weiterhin als ein Mann der Rechten. Auf der Kundgebung waren zwar alle Hinweise auf B.s „Popolo della Libertà“ verschwunden, aber stattdessen tauchten wieder Symbole der Alleanza Nazionale auf, die Fini erst vor zwei Jahren in der PdL aufgelöst hatte. Er stehe weiterhin zur Regierungskoalition mit B., die aber eben von nun an nicht mehr auf zwei, sondern auf „drei Beinen“ stehen müsse. Er vermied es, von der Gründung einer neuen „Partei“ zu sprechen, sondern redete nur von einer neuen „Gruppe im Parlament“. Was jedoch klar machte: Von nun an sind er und B. Konkurrenten, auf der gleichen Seite des politischen Spektrums, auf das B. bisher das Monopol beanspruchte. Womit genau das geschehen ist, was B. immer vermeiden wollte.
Der nächste „Brief aus Italien“ berichtet, was B. jetzt gerade unternimmt, um seine Mehrheit zu retten.