Triumph der Sportbar

In der letzten Ausgabe von Lettre International (LI) erschien Sergio Benvenutos Artikel „Gehirne im Tank“, mit dem Untertitel „Berlusconis Erfolgsmaschinerie der simplen politischen Leidenschaften“. Benvenuto ist Psychoanalytiker und Dozent am Consiglio Nazionale delle Ricerche in Rom. Der Artikel ist hübsch geschrieben, mit Freude an der Pointierung, auch wenn diese zuweilen etwas platt gerät.

Eine seiner Kernthesen: Berlusconi verkörpert einen neuen Machttypus, der nicht nur in Italien auf dem Vormarsch sei. Mit gewolltem Doppelsinn nennt Benvenuto diesen Typus die Mediokratie, die Herrschaft der Medien und der Mittelmäßigkeit. B. habe die „fundamentale Mutation der westlichen Demokratien begriffen – eine vor allem rhetorische Revolution“, die dem „Populismus der Sportbar“ zum Durchbruch verhalf.

Die Sportbar, die mit dem deutschen Stammtisch verwandt, aber wohl nicht identisch ist, ist für Benvenuto das Reich der political incorrectness, wo zum Vorschein komme, was sonst im sozialen Diskurs verdrängt werde. Wo „man über Schwule lästern, über Frauen als Huren reden, Einwanderer verächtlich und sich über alle Politiker lustig machen“ kann. Das Neue sei, dass sich „die Leute“ dazu durchgerungen hätten, auch in der Politik nur noch diejenigen zu akzeptieren, die sich wie die Kumpels in der Sportbar artikulieren. Indem sie Berlusconi vergöttern, befreien sie sich zu sich selbst, zur eigenen Vulgarität, zu den eigenen Vorurteilen und unterdrückten Aggressionen (auch gegen die Politik).

Kaum weniger tiefer ins Arsenal psychologischer Erklärungen greift Benvenuto, wenn es um den Aufstieg der Lega in Norditalien geht: Angst vor der Armut (die Globalisierung lässt grüßen), Verlust tradierter Identitäten (die früher Katholizismus und Kommunismus boten), Suche nach einem „identitären Notbehelf“, der eigenes Selbstwertgefühl durch Abgrenzung gegen „minderwertige“ Süditaliener, Bettler, Extracomunitari rettet.

Das sind plausible Erklärungen, die wohl nicht ganz wörtlich zu nehmen sind. (Die italienischen Sportbars sind eine Domäne der Männer. Interessant wäre eine psychologische Erklärung der Fangemeinde, die B. gerade auch unter Frauen hat). Vor allem bleibt die Frage, warum es eigentlich zur „rhetorischen Revolution“ kam. Benvenuto meint, in der sog. „ersten Republik“, in der sich noch die Blöcke der Christdemokraten und Kommunisten gegenüberstanden, sei alles anders gewesen. Da habe man Leute gewählt, „die wenn sie redeten, unverständlich blieben und gerade deswegen Vertrauen einflößten“. Warum hat sich das geändert? Und warum scheint es in Deutschland bisher nicht zu einer solchen „Mutation“ gekommen zu sein? Die Antwort, das liege am spezifischen Genie von B., gibt Benvenuto nicht. Für ihn hat ja B. die „rhetorische Revolution“ begriffen, nicht erzeugt.

Nehmen wir an, Benvenuto habe Recht damit, dass hinter der Metamorphose der italienischen Rechten eine „fundamentale Mutation“ stehe, von der alle westlichen Demokratien infiziert sind. Anzeichen dafür gibt es gerade auch in Europa. In Ungarn, das auch zu Europa gehört, werden die Schwulen gejagt. In Frankreich möbelt Sarkozy seine Wahlchancen durch die Räumung von Roma-Lagern auf. Von Holland und der Schweiz gar nicht zu reden. Was hindert die deutschen Stammtische daran, ebenfalls „zu sich selbst“ zu kommen? Liegt es an Tabus, die bei uns noch Bestand haben? Und an den Wertkonservativen, die in der CDU/CSU noch das Heft in der Hand haben? Manches, was bei uns bislang eher als „Ausrutscher“ galt, erscheint da in einem anderen, beunruhigenden Licht. Beispielsweise Roland Kochs Einfall, bei einer der vergangenen Hessenwahlen die ausländerfeindliche Karte auszuspielen – und zwar mit Erfolg. Oder eben auch der erstaunliche Mangel an Berührungsängsten, den die Union auf der europäischen Ebene gegenüber Berlusconis PdL zeigt. Gibt es da den Hintergedanken, sich noch eine andere Option offen zu halten?

Ich hoffe es nicht.

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