Freunde

„Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein…“
Friedrich Schiller, An die Freude

Der Dichter des Liedes „An die Freude“ wird zu den deutschen Idealisten gerechnet. Vielleicht deshalb übersah er, dass nicht jeder Freundesbund im Elysium beheimatet ist. Ein wahrer Freund versteht bekanntlich alles, auch irdische Interessen.

Als die italienische Polizei kürzlich wegen eines Korruptionsfalls (im Zusammenhang mit staatlichen Aufträgen für Windparks in Sardinien) Telefone abhörte, stieß sie auf einen solchen Freundesbund. Seinen Kern bilden drei honorige Herren: Arcangelo Martino (Unternehmer), Pasquale Lombardi (Steuerexperte, Kontakte zur Justiz) und Flavio Carboni (beste Camorra-Kontakte). Sie trafen sich regelmäßig, waren vielfältig aktiv und Diener des gemeinen Wohls, sofern man darunter ihr eigenes und das ihres exklusiven Freundeskreises versteht. Anders als bei den berühmten französischen Musketieren sind ihre Waffen nicht Degen, sondern Beziehungen.

Auf diesem Gebiet hatte der Dreierbund allerdings Hochkarätiges zu bieten. Neben Kontakten zur Welt der Geschäftemacherei waren es Verbindungen zu den Schalthebeln der politischen Macht, das heißt zur PdL. Zu den Treffen des Freundesbundes stießen häufig Giacomo Caliendo, Unterstaatssekretär im Justizministerium, Marcello Dell’Utri, der uns bereits bekannte Vertraute Berlusconis, und vor allem Denis Verdini, der mächtige PdL-Koordinator (der auch gelegentlich den Gastgeber spielte). Noch ein Freund hielt seine Hand über den Kreis – jemand, für den alle arbeiteten, der aber so hochgestellt ist, dass er in den Telefongesprächen nur „Cesare“ genannt wurde.

Das Neue ist, dass der Kreis auch Kontakte zur Justiz knüpfte, für die PdL bisher eher Feindesland. Zunächst verpflichtete er sich Vincenzo Carbone, den ehemaligen Präsidenten des obersten italienischen Kassationsgerichts. Was weitere Karrieristen anlockte. Einer von ihnen war Alfonso Marra. Dem Kreis gelang es, ihn auf den Präsidentenstuhl des Mailänder Berufungsgerichts zu hieven – nach monatelanger Bearbeitung des zuständigen Wahlgremiums. Ein nicht zu unterschätzender Erfolg. Und zwar nicht nur, weil der Vorsitz im Mailänder Berufungsgericht als strategische Position gilt. Sondern weil es  neue „Freunde“ schafft. Auch in der Justiz will so mancher etwas werden.

Natürlich pflegte sich der Kreis auch selbst. Die staatlichen Aufträge für sardische Windparks teilte er unter sich auf. Anderswo nennt man das „Korruption“, aber von irgendetwas leben muss man ja.

Vor allem wollte man „Cesare“ helfen. Als im Herbst 2009 das italienische Verfassungsgericht den „Lodo Alfano“ prüfte – das Gesetz, das B. während seiner Amtszeit von jeder gerichtlichen Verfolgung befreien sollte -, nahm sich der Kreis einzelne Verfassungsrichter vor, zwecks Orientierungshilfe. Der Versuch misslang, obwohl es dem Kreis gelang, eine stattliche Minderheit von Verfassungsrichtern auf die „richtige“ Seite zu ziehen. Aber er zeigte schon mal, wie weit der Kreis seine Netze auswirft.

Dann kam die Affaire Cosentino, über die wir berichteten. Der Kreis wusste, dass sich B. Cosentino auf den Posten des kampanischen Regionalpräsidenten wünschte. Der hat gute Beziehungen zur Camorra, seine Wahl war eigentlich gesichert. Aber da gab es das Problem des innerparteilichen Konkurrenten Caldoro, der diesen Posten ebenfalls anstrebte und von Teilen der PdL unterstützt wurde. Der Kreis bot seine Hilfe an und bastelte gegen Caldoro, zwecks Erpressung und (nötigenfalls) auch öffentlicher Zerstörung, das bekannte Sex-Dossier zusammen. Der Präsident des Berufungsgerichts von Salerno, Umberto Marconi, übernahm dafür die „juristische Beratung“. Auch diese Aktion wurde ein Flop, aber sie zeigt, was es heißt, wenn B. sagt, die PdL sei die „Partei der Liebe“.

Nun ist der Freundeskreis aufgeflogen, Carboni, Martino und Lombardi sitzen in Haft. Und das oberste Selbstkontrollorgan der Justiz wird wohl dafür sorgen, dass Alfonso Marra und Umberto Marconi ihre Posten in den Berufungsgerichten von Mailand und Salerno wieder loswerden. Trotzdem: Das Gift der Korruption, Postenjägerei, Fälschung und Erpressung, das sich unter B. wie ein Ölfleck ausbreitet, hat die Justiz offenbar schon infiziert. Noch hat sie ein Immunsystem, das sich wehrt. Was wirkt schneller? Der Ausgang ist offen.

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