Moderne Demokratie

Berlusconi nennt seine Partei „Popolo della Libertà“, Volk der Freiheit. Auf den ersten Blick scheint es nur eine Schmeicheleinheit für das Mitglied, das sich brüsten kann, jetzt nicht mehr einfach nur Mitglied einer „Partei“ zu sein, sondern das „Volk“ zu verkörpern, und als besonderer Ritterschlag: das „Volk der Freiheit“.

Auf den zweiten Blick steckt mehr dahinter. Das wissen wir, seitdem Fini versuchte, das Recht auf innerparteilichen Dissens einzuklagen. Der Beschlussantrag, der das zurückwies und mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde, ging ins Grundsätzliche. Beim „Popolo della Libertà“ handele es sich nicht mehr um eine „alte Partei“. Dies bedeute, so die PDL-Führung, ein Dreifaches:

  • einerseits eine „starke Leadership, ein charakteristisches Merkmal moderner politischer Systeme“,
  • andererseits eine „Demokratie der Wähler“, mit denen „im Moment der Wahl ein bindender Pakt über das Programm geschlossen“ werde. Der direkte „Bezug auf das Volk ist permanente Leitlinie des politischen Handelns des PdL“.
  • Und nun die Folgerung: Jede Art von Fraktionismus negiere „die Natur des Popolo della Libertà“ und widerspreche „dem Programm, das von den Wählern und von den zu seiner Verwirklichung Beauftragten“ aufgestellt worden sei. „Ambitionen einzelner können nicht den Vorrang vor dem Ziel haben, dem italienischen Volk zu dienen“.

Da ist also erstens der von der „modernen Demokratie“ verlangte „starke Leader“, der dem „Volk dient“. Da ist zweitens das „Volk“, in dessen Mitte er steht und dessen Willen er exekutiert. Was es früher noch dazwischen gab, die vermittelnde „Partei“, ist Müll der Geschichte, Vergangenheit. Das „Volk der Freiheit“ antizipiert ihr Begräbnis. Es gibt zwar noch die „Wahl“, aber (eigentlich) nicht mehr als Wahl zwischen Parteien und Programmen, sondern nur noch als Moment, in dem der „Pakt“ zwischen Wählern und den zur Regierung Berufenen über das eine „Programm“ geschlossen wird.

Ich hatte die Ehre, einem solchen mystischen Moment beizuwohnen: der Versammlung in Rom vom 20. März auf der Piazza San Giovanni. In der der Leader das Volk fragte: „Wollt Ihr wieder eine Linke, die die Steuern erhöht?“, und das brausende „Nooooooo“ des fähnchenschwingenden Volkes in sich aufsog. Und die Spitzenkandidaten für die Regionalwahlen – die rechte Hand auf dem Herzen – auf das „Programm“ eingeschworen wurden. Das war der Pakt. Es war der Leader, der im Angesicht des Volkes den Eid abnahm. Wer sich gegen ihn stellt, stellt sich gegen das Volk. Eine „Partei“ wäre eine Relativierung, die weder dem Volk noch seinem Leader angemessen ist. Auch als „Volkspartei“ würde sie, wie der Name sagt, nur eine partielle Perspektive präsentieren. Für eine Bewegung, die das ganze „Volk“ ist, gibt es kein Außen mehr. Was ist die Alternative zum Volk?

Doch ja, es gibt noch welche, die sich verweigern. Die Missgünstigen, die Hasser, die Wähler der Unfreiheit. Lichtscheue Troglodyten aus der Unterwelt („Coglioni“, „Arschlöcher“, nannte sie B. in einem der letzten Wahlkämpfe). Das Volk der Freiheit ist das Volk der Liebe. Bleibt unbesorgt: Am Ende siegt die Liebe.
Oder prosaisch ausgedrückt: Da sich das Volk nicht selbst abwählen kann, ist auch eine Abwahl nicht mehr vorgesehen. Eigentlich auch keine Opposition mehr. Und innerparteiliche „Demokratie“ schon gar nicht. An ihre Stelle tritt etwas Höheres, die „Demokratie der Wähler“. Und der erkorene Leader.

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