Das Beispiel Fondi

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B. präsentiert sich und die PdL als Vorkämpfer gegen die Mafia. Aber dem Autor von „Gomorrha“, Saviano, wirft er vor, ein Nestbeschmutzer zu sein. Sehen wir genauer hin.

Fondi ist eine Kleinstadt von 37.000 Einwohnern im südlichen Latium. Der große Obst-und Gemüse-Markt (MOF) beliefert Italien und das Ausland. Während der Regionalwahlen im März gab es in Fondi auch Kommunalwahlen, der alte PdL-Stadtrat war wegen Verdacht auf mafiöse Durchsetzung vorzeitig zurückgetreten. Gegen den allgemeinen Trend stieg die Wahlbeteiligung von 75 auf 81 %, in der Kommune bekam die PdL erneut die absolute Mehrheit. Die Unterstützung für Renata Polverini, die PdL-Kandidatin für den regionalen Gouverneursposten, war plebiszitär: in Rom unter 50 %, hier über 72 %. Es war das „Land“, das die PdL in Latium an die Macht brachte, nicht die Hauptstadt.

Unser Dorf liegt 12 Km von Fondi entfernt, und wir haben drei oppositionelle Fondaner eingeladen: Antonio ist Landwirt in einer Familienkooperative, aktiv im alternativen Landwirtschaftsverband „Altragricoltura“; Umberto, fertiger Soziologe, ist Kreissekretär der „Sinistra, ecologia e libertà“ (SEL) von Nichi Vendola; Domenico engagiert sich in lokalen NGO’s, z. B. im Social Forum und der Zeitschrift Il Cantiere Sociale, und unterstützte im Wahlkampf die SEL und das Mittelinks-Bündnis.

Bei Weißwein und Mineralwasser sprechen wir über das „Phänomen Fondi“.

Redaktion (R): Gibt es in Fondi „mafiöse Strukturen“?

Umberto (U): Unbedingt. Die Mafia hat schon lange den MOF im Visier, wo sehr viel Geld im Umlauf ist. Außerdem gibt es hier noch Küstenabschnitte mit unberührter Natur, eine Einladung zur Bauspekulation. Neben dem MOF sind es das Gesundheits- und das öffentliche Bauwesen, wo die Geschäfte der organisierten Kriminalität blühen, die Deckung durch die Politik aber auch besonders wichtig ist.

R.: Wer beherrscht in Fondi die politische Bühne?

Antonio (A): Zentrale Figur ist der PdL-Senator Claudio Fazzone. Er war früher Polizist und Leibwächter. Als 1994 die PdL gegründet wurde, schloss er sich ihr sofort an. 2000 und 2005 kandidierte er für das Regionalparlament, bevor er 2006 Senator wurde. Er bekam jeweils über 30 000 Präferenz-Stimmen, für hiesige Verhältnisse unheimlich viel. Ein Drittel seiner Präferenzen kam aus Fondi. Er wurde dann auch sofort Präsident der Regionalversammlung.

R.: Weshalb diese Popularität?

Domenico (D): Er hat Macht, viel Macht. Und beste Beziehungen zu den Unternehmerfamilien, die den MOF kontrollieren. Für die Fondaner ist er der Mann, der „anpackt“ und Geld in die Gegend bringt. Egal, woher dieses Geld kommt. Gemeinsam mit dem ehemaligen Bürgermeister von Fondi war Fazzone Teilhaber einer Gesellschaft, zu der auch jemand gehörte, der enge Beziehungen zum Mafia-Boss Tripodo unterhielt, der wiederum mit der ‚Ndrangheta und mit den Casalesi in Verbindung steht. Diese Gesellschaft erhielt auch EU-Gelder, keiner weiß, wo sie geblieben sind. Die Untersuchung des Provinzpräfekten gegen den alten Stadtrat von Fondi brachte Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ans Licht.

U.: Bei Fazzone läuft alles über das System „Empfehlungen“. Er besorgt den Leuten Jobs, z.B. im Gesundheitswesen und in der Administration. Das schafft Abhängigkeit. Den Gerichten liegen Hunderte von Briefen vor, in denen Fazzone während seiner Zeit als Regionalpräsident unter dem Briefkopf der Region Empfehlungsschreiben verschickte. Auffällig ist, dass immer die gleichen Unternehmer öffentliche Aufträge erhielten

R.: Habt Ihr mit solchen Themen im Wahlkampf punkten können?

A.: Die Leute sagen: „Was willst du, die tun wenigstens was für uns!“ Einige haben mir sogar gesagt: „Klar, das sind Verbrecher. Aber wir können nicht anders“.

R.: Und die Gouverneurin der Region, Polverini? Kann sie es sich leisten, mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten? Schadet ihr das nicht?

D.: Sie muss es sich leisten. Es war Fazzone, der ihr bei der Wahl die Stimmen der Fondaner auf dem Silbertablett servierte. Ihr hättet dabei sein müssen, als die Polverini während des Wahlkampfs ihren Auftritt in Fondi hatte. Es war eine Jubelfeier, von Fazzone bis ins Letzte durchorganisiert. Sogar die Fondaner Kleinkinder schwenkten Fähnchen. Es war perfekt. Damit machte er der Polverini klar, wem sie die 72 % Stimmen in Fondi zu verdanken hat.

R.: Gab es seitens der Politik Anläufe, die mafiösen Strukturen in Fondi aufzubrechen?

U.: Ja. 2008 wurde nach einem umfassenden Bericht des zuständigen Provinz-Präfekten eine Untersuchung über die mafiöse Infiltration in Fondi eingeleitet. In ähnlichen Fällen wurden die Gemeinderäte nach wenigen Monaten aufgelöst, nur in Fondi zog sich das hin, bis B. wieder an die Macht kam. Der Ministerrat lehnte die beantragte Auflösung dann ab.

D.: Obwohl sogar Innenminister Maroni (Lega, A.d.R.) für die Auflösung war! Aber dann intervenierte die lokale Politik. Wohl auf Druck von Fazzone traten die Mitglieder des Stadtrates von Fondi schnell „freiwillig“zurück, bevor sie aufgelöst werden konnten. Andererseits stoppten Fazzones Freunde im Ministerrat den Auflösungsbeschluss – unter anderem mit dem Argument, der alte Gemeinderat sei ja schon „freiwillig“ zurückgetreten.

A.: Mit dem Ergebnis, dass die unter Mafiaverdacht stehenden Mitglieder des Gemeinderats bei den Kommunalwahlen im März wieder kandidierten.

U.: Die alten PdL-Leute traten wieder an, zwölf von ihnen wurden wiedergewählt. Nur der alte Bürgermeister wurde geopfert. Als „neuen“ Bürgermeister Kandidaten schickte man ausgerechnet den früheren Assessor für Urbanistik ins Rennen – der Bericht des Präfekten beschrieb gerade diesen Bereich als Kernbereich mafiöser Durchdringung. Er wurde mit großer Mehrheit gewählt, obwohl ein Teil der PdL sich abspaltete und getrennt kandidierte. Im Grunde hat sich nichts geändert.

A.: Die Rechte steckte massiv Geld in den Wahlkampf und deckte die Stadt mit ihrer Wahlwerbung regelrecht zu. Weiß der Teufel, woher sie das Geld hatten. Wir hatten wenig Geld. Die wenigen Plakate, die wir klebten, wurden sofort wieder abgerissen.

R: Was habt Ihr, was hat die Opposition getan?

U.: 2008 gründeten wir ein Antimafia-Komitee. Dessen Aktivitäten gipfelten in einer großen Kundgebung in Fondi, die viel Aufmerksamkeit erregte. Für die Kommunalwahl bildeten die Oppositionsparteien PD, SEL, IdV und Grüne ein Bündnis, mit einer Unabhängigen als gemeinsamer Bürgermeisterkandidatin. Aber wir hatten auch diesmal keine Chance.

R.: Gab es Drohungen, gab es Einschüchterungen?

D.: Während des Wahlkampfes nicht so sehr, das war zu auffällig. Aber davor und danach, ja natürlich. Auf dem MOF durften wir uns mit unseren Flugblättern kaum blicken lassen. Die Arbeiter beschimpften uns und drohten uns Prügel an. Sie haben Angst um ihre Jobs.

U.: Es gab Schüsse und Brandsätze, z. B. haben sie versucht, das Auto des Vorsitzenden des Antimafia-Komitees anzuzünden. Es gibt Sprüche wie „Seid ihr schon wieder am Wühlen?“ oder „Warum gebt ihr nicht endlich Ruhe?“.

R.: Wie geht es weiter? Hält das Mittelinks-Bündnis trotz der Wahlniederlage?

D.: Ich denke ja. Wir treffen uns immer noch in dem alten Wahlkampfbüro und beraten gemeinsame Initiativen.

U.: Ich habe da meine Zweifel. Schon haben die Streitereien angefangen, ob die Opposition im Gemeinderat eine gemeinsame Fraktion bilden soll oder nicht. Wir werden sehen.

D.: Immerhin haben wir uns jetzt darauf verständigt, eine Initiative für einen Volksentscheid gegen die Privatisierung der Wasserversorgung zu starten, für die Menschen hier ein zentrales Problem. Wir haben vorgeschlagen, den Antrag gemeinsam einzubringen, das ist sehr positiv.

A.: Ja, zumal Fazzone auch Vorstandvorsitzender von Acqualatina spa ist, das Unternehmen, das die Wasserversorgung verwaltet. In anderen Gemeinden der Umgebung laufen erfolgreich ähnliche Initiativen, z.B. die sogenannte „Autoriduzione“ der teuren Wasserrechnungen. Die Leute bezahlen dann nicht mehr an Acqualatina, sondern überweisen einen reduzierten Betrag an die öffentlichen Kassen ihrer Gemeinde.

U.: Man kann sagen: In der Provinz Latina (zu der Fondi gehört, A. d. R.) gibt es einerseits die schlimmsten Auswüchse bei der Verquickung von Politik, Korruption und Mafia – und andererseits die besten Beispiele für den Widerstand dagegen. Das sind die zwei Gesichter unserer Provinz, und auch Italiens.

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