Der letzte Konservative (1)

Berlusconi wirft Ballast ab. Nun entsorgt er Gianfranco Fini, seinen bisherigen „zweiten Mann“. Am Donnerstag, den 22. April, kam es auf einer Präsidiumssitzung des PdL zum Show-down, den Berlusconi haushoch für sich entschied. Wofür steht Fini und welche Rolle spielte er bisher in Berlusconis „Popolo della Libertà“?

Gianfranco Fini war früher einmal „Neofaschist“. Er definiert sich heute noch als „Rechter“, als Mann des Staats und der Institutionen, als wertkonservativer Hüter von Recht und Ordnung. Aber er ist kein Faschist mehr. Sein heutiges Bekenntnis zu Menschenwürde und Demokratie erscheint glaubwürdig, dem Antisemitismus hat er abgeschworen, die nazistischen Rassengesetze hält er für das „absolut Böse“. 1995 gelang es ihm, den MSI aufzubrechen, die Nachfolgepartei Alleanza Nazionale (AN) folgte seinem Weg und wurde 1994 Koalitionspartner von Berlusconi. In zwei späteren Berlusconi-Kabinetten war Fini dessen Stellvertreter, zeitweise auch Außenminister. Das Bündnis hatte seinen Preis, denn auf die „weiße Weste“, die Fini den Politikern abverlangt, wirft Berlusconi einen Schatten. Aber Fini glaubte, den Tiger reiten zu können. 2007, als sie zwei Jahre lang gemeinsam auf der Oppositionsbank saßen, erklärte Berlusconi, er werde Fini zu seinem Nachfolger machen, wenn sich beide Parteien vereinigen. Bei den Parlamentswahlen von 2008 traten sie bereits unter dem gemeinsamen Namen „Popolo della Libertà“ an. Im Frühjahr 2009 folgte die Fusion. In der neuen Regierung wurde Fini Parlamentspräsident.

Aber die Kräfteverhältnisse verschoben sich: Aufgrund der Wahlergebnisse – Berlusconis Partei stagnierte (auf hohem Niveau), die Lega legte zu – wuchs die Abhängigkeit B.s von der Lega. Andererseits zeigte Fini Charakter. Sein Amt als Parlamentspräsident nahm er unerwartet ernst. Er bemängelte B.s Gewohnheit, parlamentarische Entscheidungsverfahren durch Dekrete und Vertrauensfragen zu unterlaufen, und seinen immer hemmungsloser werdenden Kampf gegen Justiz, Verfassungsgericht und Staatspräsident. Und beanstandete seine Neigung zu einem unkontrollierten „Presidenzialismo“. Gegenüber B.s Bestreben, die Katholische Kirche für sich einzunehmen, beharrte er, der Laizist, auf der Trennung von Kirche und Staat (und trat für die „Homo-Ehe“ ein). B.s Schmusekurs gegenüber der Lega widersetzte er sich – jede Regierung müsse das gesamte Land, auch den Süden, im Auge behalten. Gegen die Ausländerfeindlichkeit forderte er eine aktive Integrationspolitik. Und wandte sich auch dagegen, die Lega zum Motor des versprochenen Reformprozesses zu machen. Kurz: Wer in der italienischen Rechten jemanden mit Weitsicht und Anstand suchte, für den war Fini ein Hoffnungsträger. Für B. wurde er zum Hindernis.

Denn während B.s Abhängigkeit von der Lega zunahm, verringerte sich seine Abhängigkeit von Fini. Etwa ein Drittel der Senatoren, Parlamentsabgeordneten und sonstigen Posten, die der „Popolo della Libertà“ zu vergeben hatte, waren mit ehemaligen AN-Mitgliedern besetzt, sie galten als „Finiani“. Aber bei den meisten von ihnen wirkte das süße Gift der Macht. Es ist Berlusconi, der nun die Posten verteilt. Ihre Loyalität verlagerte sich zunehmend von Fini auf Berlusconi, was letzterem nicht verborgen blieb.

So verringerte sich Finis reale Machtbasis im gleichen Maße, wie seine Kritik an B. zunahm. Das konnte nicht gut gehen. Im September 2009 schrieb das „Giornale“, B.s persönliches Kampfblatt, wegen einer Rotlichtaffaire in den 90er Jahren verfüge es über Material gegen die AN-Gruppe. Wenn Fini Berlusconi weiterhin „Knüppel zwischen die Beine“ werfe, könnte man diese Schublade auch öffnen. Fini verklagte das Blatt. Es war ein Vorgeschmack auf das, was folgen würde. Und es charakterisiert die Vorgehensweise von B., auch innerhalb der eigenen Partei.

In einem späteren Beitrag frage ich nach der Bedeutung des Scherbengerichts vom 22. April.

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