Plan mit Hintergedanken: der „Mattei-Plan“

Das Thema Kolonialismus war für die italienische Rechte lange ein Tabu, das man besser vergaß, weil es peinlich war und auch die politische Linke nicht auf seiner Aufarbeitung beharrte – um der Einheit willen wollte sie die Nation lieber um das positive Ideal der Resistenza versammeln. Dass „da mal was war“ – in Abessinien die Versklavung eines ganzen Volkes und ein verbrecherischer Giftgaskrieg mit vielen Toten, in Libyen eine Siedlungspolitik mit planmäßigen Vertreibungen -, blieb ein Gespenst, das auch dann nicht aus dem Schrank geholt wurde, als die Migration über das Mittelmeer begann, die in Italien auf eine zunehmende rassistische Hysterie stieß (mit der ein Salvini sein politisches Glück machte). So dass sich kaum jemand an die Spezialität des italienischen Faschismus erinnern konnte, seine Kolonialpolitik mit strikter Abschottung zu verbinden, das heißt mit einem Einreise-Verbot für alle Bewohner des „schwarzen“ Abessinien, das es gerade kolonisierte.

Inzwischen ist Afrika nicht mehr der Kontinent, den die Kolonialmächte nach Beliehen und Kräfteverhältnissen unter sich aufteilen können. Russland, China, die Türkei, die Emirate und die Islamisten haben sich eingenistet, oft unter der Flagge des „Antikolonialismus“. Und wenn sich heute europäische Staaten wie Italien, Deutschland oder die EU insgesamt um Vereinbarungen mit afrikanischen Ländern bemühen, werden sie kaum um die Beteuerung herumkommen, damit auf keinen Fall in kolonialistische Ausbeutungsverhältnisse zurückfallen zu wollen.

Italien behauptet, einen solchen Plan zu haben, und zwar schon seit der rechten Machtübernahme von 2022. Ende Januar wurde sein Stapellauf zelebriert, mit einer großen Konferenz in Rom, zu der ganz Afrika eingeladen war. Um den Plan dort präsentabel zu machen, musste Italien nun doch das Gespenst ein kleines Stück aus dem Schrank holen – um sich zumindest negativ von ihm abzusetzen. Denn es gab seinem Plan den Namen „Mattei“, der wie ein Sprachzauber unerwünschte Assoziationen von vornherein unterdrücken soll: Mit ihm strebe Italien keine „Beutezüge“ an, sondern „Partnerschaften“, die (diesmal, so der Nebenklang) wirklich „paritätisch“ seien.

Ein kühner Name

Für die Rechte war diese Namensgebung ein Sprung über den eigenen Schatten. Der 1906 geborene Enrico Mattei war während des Faschismus ein aktives Mitglied der „weißen“ Resistenza, d. h. des Teils des Widerstands, der nicht der „roten“ KPI, sondern auch dem Linkskatholizismus nahestand. 1948 ließ sich Mattei als Abgeordneter der DC in das italienische Parlament wählen, in dem er zu einem Exponenten ihres linken Flügels wurde. Anfang der 50er Jahre übertrug ihm die Regierung einen Sonderauftrag: die Wiederabwicklung des im Faschismus gegründeten Energiekonzerns AGIP. Matteis eigentliche wirtschaftliche Karriere begann damit, dass er hier Eigensinn zeigte: Als die Nachricht kam, dass sich in der Po-Ebene und in der Adria bisher unentdeckte Erdöl- und Erdgaslager befänden, stoppte er die Abwicklung der AGIP und gründete 1953 die ENI (mit staatlicher Aktienmehrheit), in die er die AGIP überführte. Damit begann sein eigentlicher Aufstieg: Auf einem Welt-Erdölmarkt, der bis dahin fest von den „sieben Schwestern“ (u. a. Esso und Shell) beherrscht wurde, machte er dadurch erfolgreich Konkurrenz, dass er den Ländern, denen er für die Ausbeutung ihrer Erdöl- und Erdgaslager technische Hilfe anbot, einen deutlich höheren Anteil am Profit überließ. So wuchs er in den 50er Jahren zum global player heran, der zwar ein Außenseiter blieb, aber politisch immer unbequemer wurde: Er schmiedete Kooperationsverträge mit Tunesien und Marokko und unterstützte den algerischen Befreiungskampf gegen Frankreich (ob auch finanziell, ist bis heute unklar). Vor allem legte er sich mit den USA an: 1960 schloss er Vereinbarungen mit Russland (über Rohöl-Lieferungen) und China, verbunden mit der provokanten Erklärung, dass nun die USA ihr weltweites Erdöl-Monopol verloren hätten.

Zwei Jahre später, im Oktober 1962, war Mattei tot: Sein kleines Flugzeug stürzte beim Anflug auf Mailand ab. Die Absturzursache ist bis heute ungeklärt, die Vermutungen reichen vom schlichten „technischen Defekt“ über die französische OAS bis zur Mafia, von der bekannt ist, dass sie auch Aufträge von „Ausländern“ annahm. Für ein Attentat sprach auch die auffällige Häufung von Todesfällen bei den Polizisten und Journalisten, die sich um eine nachträgliche Klärung der Absturzursache bemühten.

Es ist bemerkenswert, dass die postfaschistische Rechte ihrer Hoffnung auf eine engere Kooperation mit dem afrikanischen Kontinent den Namen eines Mannes gibt, der in seiner Jugend ein bekannter Antifaschist war. Aber der Zweck heiligt das Mittel: In einem Kontinent, der immer noch seine kolonialistischen Erinnerungen hat – die gerade Frankreich in Schwierigkeiten bringen -, lohnt es sich vielleicht, seine partnerschaftliche Absicht durch die Berufung auf einen Antikolonialisten zu unterstreichen. Und zwar gerade dann, wenn es auch um eigennützige Interessen geht.

Der Hintergedanke

Bei der Vorbereitung ihrer Afrika-Konferenz gab es einen Moment, in dem die Regierung Klartext sprach. Als sie Mitte November 2023 das Parlament ein Dekret verabschieden ließ, das die mit der Konferenz verfolgte Absicht aussprach: „Unser Kooperationsmodell zielt auf die Förderung der nationalen Sicherheit in all ihren Dimensionen: die ökonomische, energetische, klimatische, die Ernährung, und auf die Prävention und Verhinderung irregulärer Migrationsflüsse“. Im Fokus der nationalen Sicherheit Italiens steht das, was sie die Regierung in dieser Aufzählung wohl verpackt ans Ende setzt: die Blockierung der „irregulären Migration“. In den verschiedenen Dimensionen der Kooperation mit Afrika steckt eine Hierarchie von Mitteln und Zweck. Die im Dekret zuerst genannten Ziele schaffen die Voraussetzungen für eine Kette von Vereinbarungen, die es ermöglichen sollen, entlang den Migrationswegen von Afrika nach Europa einen Teppich von Hotspots nach albanischem Modell einzurichten. Mit dem Ziel, die Migrationsströme vom afrikanischen Kontinent nach Italien – und damit auch nach Europa – stillzulegen. Nicht ohne auch der europäischen Menschenrechtsfraktion ein Bonbon aufs Nachtkissen zu legen: Wenn es flächendeckend zu solchen Vereinbarungen komme, dann könne ja auch die EU die Aufgabe übernehmen, dass in diesen Lagern die Menschenrechte beachtet werden. Also Apartheid zwischen den Kontinenten, in Kombination mit Oasen der Menschenrechte in den Hotspots – was wollt ihr mehr?

Die Konferenz

Zählt man nur die Anzahl der Delegationen, die ihr Kommen angesagt hatten, war sie kein Flop. Es waren 46, darunter knapp 20 afrikanische Staatsoberhäupter und Regierungschefs. Andererseits klafften aber auch Lücken, die dem gewachsenen russischen Einfluss in Afrika und dem „Schutz“ durch die Wagner-Truppe geschuldet sind: Aus Niger, Nigeria, Gabun, Guinea, Liberia, Mali und Burkina Faso kam niemand. Bei manchen für Italien wichtigen Ländern zeigte sich die Rücksicht auf Russland subtiler, z. B. aus Algerien reiste eine Delegation mit einer enttäuschend niederrangigen Führung an.

Aber das eigentliche Problem der Konferenz wurde sichtbar, als Meloni auf das Volumen des italienischen Engagements zu sprechen kam: Von 14 „Projekten“ in 9 Ländern in „6 strategischen Bereichen“ – (Energie, Landwirtschaft, Schule und Ausbildung, Gesundheit und Wasser – die Projekte: beispielsweise Satellitenüberwachung der Landwirtschaft, Entwicklung von Biotreibstoff, ein Ausbildungszentrum für erneuerbare Energie) war zunächst die Rede, aber es stellte sich schnell heraus, dass es sich bei 12 von diesen 14 Projekten um bereits laufende Projekte handelt, deren italienische Trägerschaft nur umgewidmet wurde, indem sie jetzt direkt dem Palazzo Chigi, also dem Ministerpräsidenten-Amt, zugeordnet wurden.

Dahinter steht ein banaler Mangel: Italien fehlt es an Geld. Von 5,5 Mrd. Euro war zunächst die Rede, die Italien über mehrere Jahre gestreckt in den Plan investieren wolle. Aber 3 Mrd. kommen aus einem Klimatopf, den schon die Regierung Draghi eingerichtet hatte, mit der Unklarheit, ob sie für eine solche Umwidmung überhaupt zur Verfügung stehen. Zweitens wären auch 5,5 Mrd. nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Die UNO schätzt den afrikanischen Investitionsbedarf auf 500 Mrd., die EU hat in ihrem seit 2021 (und bis 2027 laufenden) Global Gateway-Projekt 150 Mrd. für die Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnerländern veranschlagt. Was denn auch auf der Konferenz ein wenig Häme auslöste: Während Meloni den Mattei-Plan als ein Projekt anpries, dem sich doch die ganze EU anschließen sollte, lobte es die (anwesende) Von der Leyen als „gute Ergänzung“ („complemento“) der EU-Pläne. Der Schwanz soll nicht meinen, er könne mit dem Hund wedeln.

Grenzen einer Partnerschaft mit Stacheldraht

Dann beging Meloni den Fehler, ihre betonte Absicht der „Partnerschaftlichkeit“ ins Zwielicht zu rücken: Sie hatte das Steuerungszentrum für den Mattei-Plan ausschließlich in den italienischen Regierungsapparat verlegt. Eine Einbeziehung der afrikanischen „Partner“ im Vorfeld der Planung gab es nicht. Dass man so mit den afrikanischen Staaten nicht mehr umspringen kann, zeigte die Reaktion von Moussa Faki Mahamat, dem ehemaligen Ministerpräsidenten des Tschad, der seit 2017 der Kommissionspräsident der afrikanischen Union ist. Auch er war zu der Konferenz eingeladen, aber ließ gleich verlauten, dass er erwartet habe. vorher über das ganze Vorhaben „konsultiert“ zu werden.

Und dann kam noch Fakis Dolchstoß gegen die Kernabsicht des Mattei-Plans, die „Hilfe zu Hause“: „Was nötig ist, ist Freundschaft, keine Sicherheitsbarrieren“. Dem rassistischen Impetus, der in Afrika einen Gürtel von Hotspots errichten möchte, fehlt den Afrikanern die self-evidence.

Der „Mattei-Plan“ wird wohl ein Flop bleiben: zu wenig Geld, zu wenig afrikanische Mitwirkung, zu wenig Interesse an den Hotspots. Den für sie nötigen Stacheldraht werden sich die Länder Afrikas teuer bezahlen lassen.

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