Generalstreik im Alleingang

(Opposition 3)

Für den 6. Mai hat die CGIL, der größte italienische Gewerkschaftsverband, zum Generalstreik aufgerufen. Der Streik richtet sich gegen die Steuer-, Renten-, Schul- und Sozialpolitik der Regierung Berlusconi, die es zum Beispiel tatenlos zulässt, dass unter den Jugendlichen Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung immer mehr zur Normalität werden. Gegenüber einer Regierung, welche nichts gegen die ökonomische Stagnation Italiens tut und sich fast nur noch mit sich selbst (d. h. mit B.s Rettung vor der Justiz) beschäftigt, sind die Streikziele unterstützenswert. Aber warum ruft nur eine der drei großen italienischen gewerkschaftlichen Verbände zum Generalstreik auf? Die CGIL ist zwar der größte Verband, aber kommt es bei einem Generalstreik nicht gerade auf die Einheit aller gewerkschaftlichen Organisationen an?

Wie in der gesamten Opposition, so wuchert der Spaltpilz auch in den Gewerkschaften. Dies wird sich in einigen Städten auch beim diesjährigen 1. Mai zeigen. So gibt es in Bologna, eine der Hochburgen der italienischen Arbeiterbewegung, erstmals seit Menschengedenken drei Kundgebungen. Der deutsche Beobachter hat vielleicht ein schlechtes Gewissen, wenn er an diesem Tag die eine Kundgebung in seiner Stadt schwänzt, weil er bei schlechtem Wetter lieber zu Hause und bei gutem Wetter ins Grüne fährt. Aber wenn ihm drei verschiedene Kundgebungen angeboten würden? Er würde wohl erst recht zu Hause bleiben.

Wem die Spaltung der italienischen Gewerkschaften vor allem nützt, zeigt der Fall Fiat. Die Probleme, die der Fiat-Vorstand mit der Produktivität seiner Anlagen und mit dem Absatz seiner Produkte hat, versucht er gerade auf Kosten seiner Belegschaften zu lösen. Er droht ihnen, die Produktion ins Ausland zu verlagern, wenn sie nicht erkämpfte gewerkschaftliche Kontrollpositionen im Unternehmen aufgeben und sich nicht dem Diktat verschlechterter Arbeitsbedingungen beugen. In der CISL und in der UIL fand er Verhandlungspartner, die das entsprechende Abkommen unterzeichneten, womit der stärkste und sperrigste Kontrahent von Fiat, die FIOM (Metallgewerkschaft der CGIL), erst einmal schachmatt gesetzt war. Man kann sich vorstellen, dass dies nicht gerade dazu beitrug, die Gräben des Misstrauens und des Hasses zwischen den konkurrierenden Gewerkschaften und ihren Aktivisten zuzuschütten.

Wenn es ein unseliges Erbe der italienischen Nachkriegszeit gibt, dann sind es die Richtungsgewerkschaften, die uns in Deutschland (zum Glück) weitgehend erspart blieben. In Italien entstanden während des Kalten Krieges drei Gewerkschaftsverbünde: die CGIL, die der KPI, die CISL, die der Democrazia Cristiana, und die UIL, die der Sozialistischen Partei nahe stand. Und die sich jeweils ihre Einzelgewerkschaften – in der Metallindustrie, in der Chemie, im Öffentlichen Dienst usw. – zulegten. Es gab Gegenströmungen, die diese Spaltung wieder überwinden wollte, vor allem in den 60er und 70er Jahren, als sie die sog. „Delegiertenbewegung“ von unten her aufzubrechen suchte. Die Richtungsgewerkschaften überlebten. Sie überlebten sogar das Verschwinden der hinter ihnen stehenden Parteien – die KPI löste sich 1989 (nach dem Fall der Mauer) auf, die DC und die PS zu Beginn der 90er Jahre (nach Tangentopoli). Die gewerkschaftlichen Apparate blieben, und mit ihnen die Richtungsgewerkschaften.

Wer glaubte, der Zerfall der italienischen Demokratie unter Berlusconi werde die Gewerkschaften wieder zusammenschweißen, hat sich getäuscht. Das Gegenteil scheint wahr: Der Zerfall erfasst auch die sozialen Kräfte, welche eigentlich die natürlichen Gegner des Regimes sind. Aus den Rissen, welche die Vergangenheit hinterließ, werden Gräben.

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